Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 10.04.2024

Zauberformel bestätigt

Überraschende Sitzverschiebungen im Grossen Rat

Bei den Thurgauer Grossratswahlen haben SP, Die Mitte und EDU Sitze gewonnen. Aufrecht Thurgau zieht neu mit einem Sitz in den Grossen Rat ein. SVP, Grünliberale, Grüne und FDP haben  Mandate verloren. Bei der Gesamterneuerungswahl der Thurgauer Regierung sind Walter Schönholzer (FDP), Urs Martin (SVP) und Dominik Diezi (Die Mitte) für die nächsten vier Jahre bestätigt worden. Neu gewählt wurden Denise Neuweiler (SVP) und Sonja Wiesmann Schätzle (SP). 

 

 

Der Trend war schon früh erkennbar. Doch für die Details und die Frage, ob der eigene Sitz ins Trockene gebracht werden konnte, mussten sie lange ausharren: die ernsthaft in Frage kommenden der über 1000 angetretenen Kandidatinnen und Kandidaten der Grossratswahlen im Kanton Thurgau. Erst um halb sieben Uhr herrschte im von der Staatskanzlei betriebenen Wahlzentrum in der Kanti Frauenfeld dann Klarheit. Aber auch nicht für alle, wird doch ein Sitz der SP wegen Stimmengleichheit noch mit einem Mittel bestimmt werden müssen, welches früher mal gang und gäbe war: Nicht bei uns, aber bei den Erfindern der Demokratie, den alten Griechen, in der Blütezeit der Demokratie in Athen unter Perikles: dem Losverfahren.


 



Weniger als ein Drittel


Eindeutiger und schneller bekannt waren die Resultate der Wahlen in den Regierungsrat. Einmal mehr bestätigte der Souverän die Thurgauer Zauberformel. Der Souverän? Zumindest, was sich an dieser Wahl als Souverän aktiv zu Wort meldete. Und das war weniger als ein Drittel aller Stimmberechtigten. Ein Zeichen von Zufriedenheit, Behäbigkeit oder eher Sorglosigkeit und alarmierendem Desinteresse an dem, was uns alle betrifft, an unserem Gemeinwesen? Die besagten alten Griechen nannten es die Polis, daher der Name Politik. Und weil Politik unser Zusammenleben im kleinen wie im grossen Gemeinwesen betrifft, sagen manche, kein Mensch könne unpolitisch sein.


So etwa unser grosser Volksschriftsteller Gottfried Keller, Staatsschreiber in Zürich im 19. Jahrhundert, der sagte, alles sei politisch, vom Leder an der Sohle unserer Schuhe bis zum Rauch, der sich aus den Schornsteinen kringle. Wer sich der Stimme enthalte, bezeuge damit sein Einverständnis mit den bestehenden Verhältnissen. Wahr oder falsch?


Die Meinungen darüber gingen an diesem Wahlsonntag querbeet durch die Parteien auseinander.


Die Stimmung im Wahlzentrum war geprägt von gespannter Erwartung, zum Teil ausgelassener Freude, wenn eigene Sitze zu feiern waren, und vor allem: von im Scheinwerferlicht der TV-Stationen schweissgeperlten Wahlsiegern und -Verlierern, die wohl gefühlt hundertmal die gleichen Kommentare abzugeben genötigt waren. Natürlich auch gegenüber der Frauenfelder Woche.


 



Auch ein Heimweh-Frauenfelder


Zufrieden zeigte sich Markus Zahnd, Leiter Dienststelle für Kommunikation: Wie viele Manns- und Frauensstunden investiert worden seien, könne nur schwer beziffert werden: «Es waren sehr viele Leute involviert, alle mit grossem Engagement, wir sind sehr zufrieden, wie es technisch läuft.» Nein, die Ergebnisse kommen weder per Fax noch per Mail rein, sondern über das Ergebnisermittlungssystem Voting: «Einfach gesagt drückt man in den einzelnen Gemeinden auf den Knopf, dann laufen die Resultate bei uns ein, wir machen dann den Zusammenzug im kantonalen Wahlbüro, dann geben wir es hier bekannt», erklärte Zahnd. Engagiert hatte man auch einen Heimweh-Frauenfelder, der für das gfs.bern die Hochrechnungen erstellte und auf der Bühne kommentierte. Tobias Keller freute sich, in seiner ehemaligen Schule auftreten zu dürfen, er, der in Huben aufgewachsen ist und nach einem einschlägigen Studium heute in Ittigen bei Bern wohnt. «Wir vom gfs.bern machen das ja vor allem national, erst einmal kantonal, für den Kanton Bern, und nun für den Kanton Thurgau.» Und ja, die Frauenfelder Woche sei ihm sehr wohl ein Begriff. Heimat hat eben verschiedene Gesichter, auch Printprodukte können Zugehörigkeit vermitteln. 


Während viele Kandidierende des Grossen Rates in ihren Gemeinden und regionalen Wahlzentren mitfieberten, hatten sich die Kandidierenden für den Regierungsrat in corpore im Wahlzentrum eingefunden und standen der Frauenfelder Woche Red und Antwort.


Der bestgewählte Dominik Diezi, (Die Mitte, bisher, 37 275 Stimmen), sagte: «Die Freude ist gross, das Resultat ist eine Motivationsspritze, eine Bestätigung für das, was man gemacht hat.» Man solle das Glanzresultat aber nicht überinterpretieren, als Mitte-Kandidat polarisiere man eben nicht, das sei für ihn der Grund für die hohe Zustimmung.


Walter Schönholzer, (FDP, bisher, 31 692 Stimmen), sagte: «Ich spüre grosse Freude und Erleichterung, weitere vier Jahre wirken zu können, mit dem zweitbestem Resultat, und ich freue mich auch für die beiden neuen Kolleginnen». Wenn er im Juni wieder das Regierungspräsidium innehaben werde, werde es eine wichtige Aufgabe sein, die Kolleginnen zu integrieren, damit man sich zum Wohl der Bevölkerung schnell als Team finde. Wie er Jungbürgerinnen und Jungbürger unser System der Konkordanz erklären würde? «Dabei geht es um das Einbinden aller wesentlichen Kräfte in die Regierung, im Vordergrund steht die Suche nach mehrheitsfähigen Lösungen, die dann vor dem Parlament und dem Volk auch Bestand haben.» Anders als im Konkurrenzsystem wie etwa in Deutschland werde so nicht alle vier Jahre wieder alles umgeworfen, und ja, unser System sei etwas langsamer, im Gegensatz zu Konkurrenz-Systemen bedeute es aber nie Stillstand, auch werde so der Wille der Bevölkerung einfach besser abgebildet.


 



Urs Martin zufrieden


Urs Martin, (SVP, bisher, 30 567 Stimmen), zeigte sich ebenfalls sehr zufrieden mit dem Resultat: «Besonders, weil ich vier anspruchsvolle Jahre hinter mir habe, Stichwort Pandemie, Unterbringung von Flüchtlingen, dann auch die Finanzen. Das sind alles Dossiers, die nicht allen Leuten Freude bereiten, deshalb finde ich mein Resultat sehr erfreulich.»


Seine Parteikollegin Denise Neuweiler, (SVP, neu, 28 022 Stimmen), betonte: «Der Thurgau ist ein bürgerlich geprägter Kanton, ich finde es schön, dass diese Beständigkeit fortgeführt werden kann, was auch zentral ist für den Wirtschaftsstandort, die Finanzen, die Frage der Bildung und vieles mehr.»


Sonja Wiesmann Schätzle, (SP, neu, 24 237 Stimmen), gab zu Protokoll: «Ich verspüre eine riesige Freude, und es ist ein ganz spezielles Erlebnis heute.»


 



Enttäuschung bei Sandra Reinhart


Sandra Reinhart von den Grünen wurde mit 18 449 Stimmen nicht gewählt. Sie sagte: «Schade, hat es nicht für einen zweiten Wahlgang gereicht. Ich verbuche mein Resultat aber als einen Achtungserfolg, schliesslich gab es im Kanton Thurgau noch nie einen grünen Regierungsrat, es wäre ein Novum gewesen. Wir waren sachpolitisch unterwegs, die andern machtpolitisch, was für mich demokratisch sehr fragwürdig ist.»


Christian Stricker von der EVP erzielte 15 197 Stimmen. Er sagte unserer Zeitung: «Meine Kandidatur hat Leute weit über unsere Parteigrenzen hinaus mobilisiert, was mir Mut macht für die weitere Arbeit. Ich wusste, dass es schwierig werden würde, gegen die Konkordanz anzutreten; das war ein Einheitsblock der fünf nun Gewählten, dennoch ist es uns gelungen, Akzente zu setzen. Und erfreulich: Wir haben so auch unsere Position im Grossen Rat halten können.»


 



Beide Abtretende anwesend


Unter den Anwesenden in der Kanti Frauenfeld waren auch die beiden nur noch bis Ende Mai im Amt weilenden Regierungsrätinnen, die sich nicht mehr zur Wahl gestellt hatten. Monika Knill zeigte sich unserer Zeitung gegenüber sehr erfreut über das Resultat: «Ich weiss, was das für eine Anspannung war, und ich freue mich auch über die Klarheit im ersten Wahlgang.» Und ja, etwas Wehmut sei schon mit dabei heute: «Klar habe ich nebst dem lachenden auch ein weinendes Auge. Da ich sehr menschenbezogen bin, macht es schon Mühe, all die Menschen loszulassen. Aber ich bleibe ja im Thurgau und freue mich zu verfolgen, was die Neuen so alles machen werden.» 


Cornelia Komposch meinte: Ich freue mich, dass meine Gspänli so gut gewählt wurden, dass Denise und meine politische Freundin Sonja Wiesmann solch ein gutes Resultat erzielt haben.» Wehmut verspüre sie weniger, eher stehe die Freude im Vordergrund, denn nach ihrem Rücktrittsentscheid habe bei ihr ein Stimmungswechsel stattgefunden: «Ich freue mich nun auf meine freie Agenda, auf den neuen Lebensabschnitt, das ist nun so in Ordnung für mich.»


Thomas Schaffner