Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 03.04.2024

Eine Nachfolgerin ist leider nicht in Sicht

Nach ihrer erfolgreichen Karriere wurde Heidi Diethelm Gerber gleich Schweizer Pistolen-Nationaltrainerin. Jetzt gibt die Märstetterin den Posten Ende Jahr ab und spricht über ihre Pläne für die Zukunft.

 

 

Die x-fache Schweizer Meisterin Heidi Diethelm Gerber darf guten Mutes einen Blick zurück werfen, auf das, was sie in ihrer Aktivzeit alles erreicht hat. Die gelernte Hotelkauffrau hält auch fest, was sie als Nationaltrainerin besonders gefreut hat und was weniger angenehm war. Und was jetzt noch kommt.


 



Wie viele Tage pro Jahr warst Du als Nationaltrainerin unterwegs?


Ui, das habe ich noch gar nie ausgerechnet. Aber es ist sicher mehr als die Hälfte vom Jahr. Zwischen April und Juni ist stets sehr viel los, weniger zwischen Oktober und Dezember.


 



Am meisten warst Du wohl im Leistungs-Zentrum Magglingen anzutreffen?


Das schon, aber trainiert haben wir ja in Biel und nur gewohnt in Magglingen.  


 



Gab es wegen den Wettkämpfen überhaupt freie Wochenenden?


Zu Hause war ich im Normalfall von Freitag bis Montag, aber natürlich nur, wenn keine Wettkämpfe anstanden. Es waren enorm unstete Zeiten. Das hat Substanz gekostet.


 



Was hat als Nationaltrainerin am meisten Spass gemacht?


Die Arbeit mit den Athleten. Meist waren dies vier oder fünf. Das änderte von Jahr zu Jahr. Momentan sind es fünf. Es war immer viel Basisarbeit notwendig. Egal, ob drei oder fünf Personen im Kader waren, die Vorbereitung auf grössere Wettkämpfe war stets intensiv.


 



Was würdest Du gerne ändern?


Es wäre logischerweise sehr hilfreich, wenn alle Schützen einen Mentaltrainer an ihrer Seite hätten. Das würde mich enorm entlasten. So wie es jetzt ist, muss ich auch auf diesem Gebiet tatkräftig führen. Zum Glück war das bei mir als Aktive eine der grossen Stärken.


 



Wo liegt das Augenmerk jetzt noch für 2024?


Natürlich bin ich weiterhin voll drin als Nationaltrainerin. Ende Mai anfangs Juni finden im kroatischen Osijek erneut die Europameisterschaften statt. Komme natürlich gerne in anderer Funktion an einen erfolgreichen Ort zurück. Freuen würde es mich logischerweise, wenn ich noch einen Teilnehmer an einen Weltcup bringen könnte. Aber mein Ehrgeiz ist es, dass ich die Athleten auf einem soliden Stand an meinen Nachfolger übergeben kann.


 



Wirst Du im nächsten Jahr Privat-Trainerin von Deinem Sohn Dylan?


Nein. Mein Sohn ist im Verein und in der Matchgruppe des Kantons Thurgau sehr glücklich. Im Pistolenverein bist Du sowieso meist nur ein Einzelkämpfer.


 



Was planst Du für 2025?


Es ist noch Vieles offen. Logischerweise auch, was ich beruflich machen werde.


 



Wirst Du weiterhin als Schützin antreten?


Ich möchte schon wieder vermehrt die Pistole in die Hand nehmen. Das Schiessen ist in den letzten drei Jahren deutlich zu kurz gekommen. Allerdings werde ich das völlig ohne Ambitionen tun und will sicher keinen falschen Ehrgeiz entwickeln.


 



Die Olympia-Bronzemedaille von 2016 in Rio de Janeiro war Dein Karriere-Highlight?


Natürlich war dieser dritte Platz in Brasilien etwas Enormes. Schön war ebenso der Triumph 2014 in Fort Benning (USA) an einem Weltcup. Ebenfalls ein Glanzpunkt waren die zwei Europameistertitel 2011 in Belgrad und 2013 in Osijek, denn sie waren ein klarer Wegbereiter für Olympia. Das war immer mein angestrebtes Ziel, hier dabei zu sein und dann schaffte ich das sogar dreimal. Dass es in Rio so aufgegangen ist, war umso schöner.


 



Was gab es für andere Glanzpunkte?


Hoch einstufen würde ich auch, dass ich an den European Games in Baku mit der Sportpistole gewonnen habe und in Minsk die Silbermedaille holte. Mit Swiss Olympic stand ich fünfmal im Einsatz und habe dabei drei Medaillen gewonnen. Dass ich meine Leistungen international immer voll auf den Punkt gebracht habe, macht mich schon ein bisschen stolz. Dass ich zudem in einer anderen Disziplin reüssiert habe, geht vielfach fast vergessen. Im Februar 2020 wurde ich nämlich im polnischen Wroclaw Vize-Europameisterin mit der Luftpistole.


 



Musstest Du auch einen bitteren Moment hinnehmen?


Es gab sicher auch weniger angenehme Situationen. Nach Olympia in London 2012 hat der Verband sämtliche Trainer entlassen. Das hat sehr weh getan und war ein ganz bitterer Moment in meiner Karriere. Dass wegen der Corona-Pandemie die Olympischen Spiele in Tokio um ein Jahr nach hinten geschoben wurden, hat mich unheimlich viel Substanz gekostet. Im Jahr 2020 war ich nämlich wirklich in einer super Verfassung. Etwas ärgert mich immer noch, an Weltmeisterschaften konnte ich mit einmal Bronze nie richtig reüssieren.


 Interview: Ruedi Stettler