Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 13.03.2024

Die Thurgauer Archäologen präsentierten ihre Funde

Der Saal in der Kantonsbibliothek war gerammelt voll, denn wer wollte sich schon entgehen lassen, was die unübertroffen unterhaltsamen Grossmeister der grabenden, wühlenden und konservierenden Zunft der Thurgauer Archäologie  zum Besten gaben.  Das nächste Mal müsse man sich wohl in der Rüegerholzhalle treffen, meinte Urs Leuzinger alias «Leuzi» mit Blick in den überfüllten Saal. Wurde auch der Sauerstoff immer knapper, so dafür die Spannung immer grösser, die zuerst via Beamer und Powerpoint vorgestellten Funde des Grabungsjahres 2023 in Echt bestaunen zu dürfen. Und das Grabungsglück war dem Archäologen-Team unter Führung von Simone Benguerel, Hansjörg Brem, Irene Ebneter und Urs Leuzinger mehr als hold gewesen. 

 

 

Während die Bündner Kollegen letztes Jahr vor allem Schrott, wenn auch antiken, zu Tage gefördert und als grosse Neuigkeit präsentiert hätten, frotzelte die Thurgauer Truppe, seien hier im Thurgau die Bernsteinfunde geradezu explodiert, vom einstelligen Bereich in den hohen zweistelligen. Und ja, ohne freiwillige Helfende, die Äcker, Wälder, Wiesen und Felder auf Fundgegenstände absuchten, wäre man lange nicht da, wo man heute steht. Er habe gerade seine Pizza essen wollen, als der Anruf gekommen sei. An einem Samstag kurz nach Mittag.


 


Kostbarer Fund


Ein Schwert, zwar in zwei Teile zerbrochen, aber dennoch ein waschechtes, natürlich schon arg korrodiertes, hatten da zwei Männer im Hörnliwald bei Eschenz zu Tage befördert. «Leuzi» wusste sofort, was die Stunde geschlagen hatte, und knurrenden Magens, seine warme Pizza zurücklassend, ging’s los, quasi mit archäologischem Blaulicht. Denn eines war klar: «Die Herren hatten sicher keine Handschuhe dabei, und blosse Hände auf bronzezeitlichem Metall, das konnte kein gutes Ende nehmen, da war der Notfalleinsatz ein Muss», wusste der wie immer im legendären, weit über die Kantonsgrenzen hinaus gerühmten roten Hoodie auftretende Archäologe in seiner heimelig «baselditsch» eingefärbten Diktion dem gebannt zuhörenden Publikum zu offenbaren. Klar sei alles an ihm haften geblieben, schliesslich war die ganze Truppe um seinen Chef Hansjörg Brem referierenderweise auswärts im Einsatz. Und effektiv wurde der Star des Abends dann aus einer Kiste in der Ecke des Saales auf den Schautisch befördert, wo sich sofort grössere Menschentrauben bildeten. Am über 3500 Jahre alten Stichinstrument war die Bruchstelle klar zu sehen, die wohl wegen eines Fehlers beim Giessen entstanden war. Nachvollziehbar und eine Lehre für alle Metalllurgie-Lernenden, dass unabsichtlich eingebaute Sollbruchstellen gerade bei Kriegsgerät kein gutes Ende nehmen können. Offenbar war das Schwert, des Mannes bester Freund, die früher ja oft Namen trugen und wie selbstaktive Individuen verehrt wurden, quasi religiös beerdigt worden, anders  lasse sich der Fund am uralten Passübergang nördlich von Kalchrain nicht schlüssig erklären.


 


Neue Ausstellung


Wer die Funde in Ruhe anschauen will, kann dies in der neuen Ausstellung im Museum für Archäologie Thurgau in Frauenfeld tun, welche am 8. Juni eröffnet wird. Wie man den Ansturm der Bevölkerung dann bewältigen wolle, mussten die amtlich diplomierten Erd-Wühler vom Dienst allerdings offenlassen. Der dortige Raum sei gerade mal einen Viertel so gross wie der überfüllte Saal der Kantonsbibliothek, meinte «Leuzi», der inzwischen der gestiegenen Temperatur Tribut zollte und im smarten schwarzen T-Shirt nicht gerade Grabungsluft verbreitete, aber Lust weckte, selber beim nächsten Spaziergang die Drohne mitzunehmen und – hoffentlich vorher bewilligte – Luftaufnahmen zu machen. Denn wer weiss: Oft sieht man aus der Vogelperspektive Überreste von Mauern unter der Erde, wenn die Vegetation eine andere Textur aufweist! Bewährt sind auch Metalldetektoren, die schon die eine oder andere Überraschung bieten können. Wer weiss, vielleicht finden sich dann weitere Funde wie jener aus einem Rüeblifeld bei Güttingen: Die 14 Anhänger aus Bronze mit Stachelscheiben, fast 100 Bernsteinperlen, ein Bären-, ein Biber- sowie ein Haifischzahn sowie zwei Fingerringe und mehrere Golddrahtspiralen – eine klassische Grabbeigabe? Nicht eindeutig zu klären, hiess es da. Durchaus wehrhaft, und wehe, wer diesen Damen zu nahekam, meinte ein Besucher lachend zu seiner Partnerin, die ihm einen neckischen Backenstreich verabreichte. Ändern sich über die Jahrtausende auch die Gebräuche, Schmuckgegenstände, Kleider etc., menschliches Flirten scheint überzeitlich zu sein.


 


Vergangenheit und Gegenwart


Wie sagten schon unsere Altvorderen? Unsere Zukunft geht nur mit Wissen um die Herkunft, unsere Zeitgeschichte hat immer eine Vorgeschichte. «Nichts faszinierender, als sich vorzustellen, wie wir vor 3000 Jahren hier gelebt hätten, und schliesslich waren wir alle ja dabei, in Gestalt unserer Vorfahren, die damals hier oder anderswo lebten», meinte ein älterer Herr zu seiner Begleitung. Muss so sein, denn sonst gäbe es uns ja nicht. «Wie wohl in weiteren 3000 Jahren unsere Ururur…-Enkel auf unsere Zeit blicken werden?», sinnierten auf dem Nachhauseweg zwei ältere Damen, froh, dem Regen mit guter Kleidung und Schuhwerk nicht schutzlos ausgesetzt zu sein wie die Vorfahren, und nicht in bescheidenen Hütten hausen zu müssen. Das überwältigende Interesse an den Befunden der Archäologen zeigte einmal mehr: Offensichtlich hilft der Blick in die Bronzezeit auch immer, unsere Gegenwart besser wertzuschätzen, trotz all ihrer Mängel und all dem Optimierungspotenzial. 


Thomas Schaffner