Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 23.12.2023

«Wir müssen einander wieder Vertrauen schenken»

Stadtpräsident Anders Stokholm zum Jahreswechsel 2023 / 2024

Stadtpräsident Anders Stokholm blickt mit gemischten Gefühlen auf das Jahr 2023 zurück. Zum einen gab es viel zu diskutieren und wichtige Geschäfte standen an. Zum anderen waren da diverse Anlässe, welche die Stadt mit Leben erfüllten. Und zum Jahresabschluss der «Knall» mit dem Budget. Die «Frauenfelder Woche» traf den Stadtpräsidenten zum Rück- und Ausblick.

 

 

Anders Stokholm, wie lautet Ihre Bilanz des Jahres 2023?


Sie fällt durchzogen aus. Es gab schöne Anlässe wie beispielsweise 150 Jahre Kirchenchor, ein Bundesrat zu Besuch, das 500-Jahr-Jubiläum der Stadtschützengesellschaft oder natürlich das Streetart-Festival. Auch das Hallenbad macht grosse Freude, auch wenn erst in wenigen Wochen gebadet werden kann. Auf der anderen Seite gab es natürlich auch weniger schöne Dinge wie die Wahlen im Frühling mit der Nicht-Wiederwahl von Andreas Elliker und die daraus folgenden Fragestellungen, der Abstimmungskampf um das Casino oder natürlich auch die Budget-Zurückweisung vor wenigen Wochen. Aber auch das gehört dazu.


 


Und was war Ihr persönlicher Höhepunkt dieses Jahr?


Das war ganz klar das Streetart-Festival. Dieses hat Frauenfeld auf schöne Art und Weise bereichert. Wir sind den beiden Hauptverantwortlichen sehr dankbar für ihr grosses Engagement.


 


Und wie siehts mit der anderen Seite aus? 


Anstrengend war die Widersprüchlichkeit einer Mehrheit von Bevölkerung und Gemeinderat bei Entscheidungen. Sprich, man sieht die Investitionen, aber die Einnahmen will man nicht genehmigen – Stichwort Casino. In der Budget-Debatte wird die Verantwortlichkeit zudem nur beim Stadtrat verortet. Ich denke, das ist unter anderem auch eine Frage des Zeitgeists. Ein eindeutiger, richtiger Pfad, auf dem wir unterwegs sein sollten, den gibt es in der heutigen Zeit nicht mehr. Das macht das Regieren nicht einfach.


 


Gab es dieses richtig und falsch früher also mehr?


Die Mehrheitsverhältnisse waren früher wohl eindeutiger, als sie es in den letzten acht Jahren waren. Ob das nun gut oder schlecht ist, mag ich nicht zu beurteilen. Wir sind alle nur kleine Zahnräder und gewisse Dinge wird man erst aus der Ferne in 20 oder 50 Jahren abschliessend beurteilen können. Wir geben jedenfalls unser Bestes, die Mosaiksteine am richtigen Ort zu platzieren. Was sich im Endeffekt dann als zukunftsträchtigster Weg herausstellt, wird sich zeigen.


 


Im Vorfeld des Streetart-Festivals gab es viel Kritik. Stichworte sind Corona-Gelder und zwei Katzen am Feuerwehr-Depot. Geht das auch in Richtung Zeitgeist?


Nicht nur. Das sind gesellschaftliche Mechanismen, die es schon immer gab. Entwicklungen werden von einem Teil der Bevölkerung kritisch beobachtet, von einem anderen euphorisch begrüsst. Und die grosse Mehrheit nimmts schlicht zur Kenntnis. Auch hier ist es so, dass sich ein klares Bild erst mit Abstand ergibt. Heute ärgern sich Menschen über E-Trottinetts, den E-Mobilitäts-Boom oder Windräder – mal sehen, wie in 100 Jahren darüber gedacht wird. Es schadet nicht, ab und zu aus der Froschperspektive herauszukommen und Sachen von einer höheren Flugebene aus zu betrachten.


 


Schlechter Witz: Das sollte Ihnen ja nicht schwerfallen.


Schon wegen meiner Körpergrösse (lacht). Nein, im Ernst. Das ist eine Sache, die mir sehr gut liegt. Mir wurde schon gesagt, dass ich dadurch teilweise abgehoben wirke. Aber wenn ich unser Handeln nicht immer wieder in Relation mit dem Grossen und Ganzen stellen würde, dann würde ich mich in Scharmützeln verlieren, die niemandem etwas bringen. Das gehört zu mir als Person, ich habe natürlich auch entsprechende Berufe gewählt. 


 


Einige Entscheidungen in diesem Jahr verliefen nicht so wie vom Stadtrat gewünscht. Zum Beispiel die Casino-Abstimmung oder zuletzt das Budget. Fühlen Sie sich vor den Kopf gestossen?


Nein. Im Stadtrat sind wird nicht so gestrickt. Wir planen ja jeweils auch nicht nur bis zur nächsten Wiederwahl, sondern wir versuchen, stets den Horizont im Auge zu behalten und dann auch aufzuzeigen, wie die langfristigen Auswirkungen sind. Konkret auf die erwähnten Beispiele bezogen: Beim Casino wollten wir zeigen, dass grosser Bedarf besteht und wir diesem mit eigenen Mitteln nur sehr schwer nachkommen können, wenn überhaupt. Und beim Budget überbrachten wir die negative Botschaft betreffend Zustand unserer Infrastrukturen und dass wir die Dienstleistungen nur dann aufrechterhalten können, wenn wir entsprechende Finanzierungen haben. Wenn man das aber nicht will, dann muss man den bisher eingeschlagenen Weg in Frage stellen. Und dieser wird immerhin bereits seit 50 Jahren beschritten.


 


Und das betrifft ja so einige Infrastrukturen.


Dem ist so. Das Hallenbad war ein Punkt. Weitere sind die Sportanlagen oder auch das Alterszentrum Park. Man hat das alles in einer Zeit gebaut, als offenbar noch ein etwas anderer Gemeinsinn vorherrschte. Dieser hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wohl verändert und nun gilt es sich bei allem zu fragen: Ist das noch etwas, das die Stadt allein oder überhaupt machen und anbieten soll? Beim Budget jedenfalls geht es jetzt zurück auf Feld eins.


 


Rein spekulativ: Hatte die aktuelle Zeit mit Teuerungen auch Einfluss auf den Entscheid, Budget und Steuerfusserhöhung zurückzuweisen?


Gegen alle anderen Teuerungen kann man sich kaum wehren, bei uns kann man noch etwas schrauben. Ich habe das Beispiel gebracht: 50 Prozent der Steuerpflichtigen müssten mit der Steuerfussanpassung maximal 20 Rappen mehr bezahlen pro Tag – also maximal 71 Franken im Jahr. So gesehen bewegen wir uns beim Gesamtsteuerfuss weit unter der Teuerung.


Ich denke, die Teuerungen spielten bestimmt eine Rolle, aber sie alleine erklären es nicht. Es sind grundsätzliche Veränderung anderer Natur. Der Individualismus nimmt zu und der Gemeinsinn hat sich verändert.


 


Die Finanzlage der Stadt präsentiert sich grundsätzlich und auch mit Blick an vorne wenig rosig. Wie beurteilen Sie die Lage?


Man sieht Tendenzen, die klar in Richtung Verschuldung gehen. In unserer Planung sieht man, dass der Nettoverschuldungsquotient bis 2027 ohne Gegenmassnahmen auf 100 Prozent steigen würde. Und dort hin darf er einfach nicht, weil wir dann zu drastischen Schritten beim Haushaltgleichgewicht gezwungen wären. Das ist ein eindeutiges Warnzeichen, dass wir so nicht weiter machen können. Darum hat der Stadtrat in einem längeren Prozess entsprechende Massnahmen aufgegleist. Aber, und das muss man auch sagen, unsere Budgets waren schon immer vorsichtig erstellt und die Rechnung hat sich dann immer positiver dargestellt. Ich rate also von Alarmismus ab. Dieser ist nicht zielführend und kreiert Schnellschüsse.


In den letzten Jahren hatte man mit Krisen wie Pandemie und Strommangellage zu kämpfen. Dieses Jahr kehrte nun endgültig das Leben in die Stadt zurück. Wie haben Sie das wahrgenommen?


Es ist schön, dass das Leben zurückkam. Was aber nachhallt, ist der Vertrauensverlust. Ich bin überzeugt, dass man in der Zeit jeweils richtig gehandelt hat. Im Nachhinein hatte das Ganze aber klar einen Alarmismus-Anteil darin. Denn es gab sowohl während der Pandemie als auch während der Strommangellage sehr scharfe Massnahmen. All das und die daraus resultierenden Konsequenzen haben das Vertrauen in verschiedenste Institutionen nicht unbedingt gestärkt – auch in staatliche. Und weil wir auf kommunaler Ebene nah am Bürger sind, müssen wir immer wieder mal als Prügelknabe herhalten.


 


Welches sind die wichtigsten Pendenzen im kommenden Jahr?


Ich freue mich sehr auf die effektive Badieröffnung im Januar. Zudem ist die Übernahme der Stadtkaserne ein Meilenstein und die damit verbundene Entwicklung wird spannend. Dazu arbeiten wir natürlich am Budget und auch in Sachen IT müssen wir uns den veränderten Gegebenheiten anpassen und fit machen für die Zukunft.


 


Was geben Sie den Frauenfelderinnen und Frauenfeldern mit ins neue Jahr?


Ich glaube, wir müssen wieder mehr aufeinander zugehen. Vertrauen kann man sich nicht verdienen, sondern man muss es sich schenken. Vertrauen ist eine Vorschussleistung. Das wäre mein Neujahrswunsch, dass grundsätzlich wieder mehr Vertrauen geschenkt wird. Ich glaube, das ist eine unabdingbare Notwendigkeit.


 Interview: Michael Anderegg