Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 10.11.2019

Erfolgsrezept Lehre

So zeigt sich die aktuelle Situation in Lehrbetrieben

Die Berufslehre ist in der Schweiz nach wie vor der beliebteste Bildungsweg. Zwei Drittel der Jugendlichen entscheiden sich schweizweit jedes Jahr für eine Lehre. Eine geeignete Lehrstelle zu finden, ist dabei nicht immer einfach. Aber auch für die Unternehmen ist die Lehrlingsbetreuung eine Herausforderung, in die sie viel Energie stecken. Doch der grosse Aufwand lohnt sich – für beide Seiten.

 

 

Im nächsten Jahr werden erneut über 2000 Thurgauer Schülerinnen und Schüler in das Berufsleben starten – die grosse Mehrheit wird dann eine Lehre anfangen. Im Sommer 2019 waren es rund 73 Prozent der Schulaustretenden im Thurgau. Die Suche nach einer Lehrstelle ist zurzeit in vollem Gang und bewegt zahlreiche Familien (siehe die Lehrstelleninserate auf Seite 13).
Abweichungen je nach Branche
Über die aktuelle Lage am Lehrstellenmarkt können sich die Absolventinnen und Absolventen nicht beklagen: Weil die geburtenschwachen Jahrgänge aus der Schule kommen, gab es in den letzten Jahren einen Überschuss an Lehrstellen. Je nach Branche zeigt sich jedoch ein unterschiedliches Bild. In manchen Branchen wird händeringend nach Nachwuchs gesucht, andere können sich vor Bewerbungen kaum retten. Besonders beliebt sind dabei kaufmännische Berufe und Tätigkeiten im Gesundheitssektor. Handwerkliche Berufe haben tendenziell das Nachsehen, ebenso Berufe mit unregelmässigen Arbeitszeiten wie etwa in der Gastronomie. Betriebe dieser Branchen sind besonders gefordert, Massnahmen zu treffen, um für den beruflichen Nachwuchs zu sorgen.

Zehnmal mehr Bewerbungen
Diese Abweichungen veranschaulicht beispielhaft auch die Situation bei zwei Lehrbetrieben im Thurgau: Eschtec AG in Müllheim produziert Systemlösungen in den Bereichen Hydraulik, Pneumatik, Mechanik und bildet ihre zwei Lehrlinge zu Fahrzeugschlossern aus. Das Unternehmen erhält nach eigenen Angaben circa fünf Bewerbungen pro Jahr. Anders zeigt sich die Lage bei Genius Media AG. Die Druckerei besetzt jährlich eine Polygrafenlehrstelle und kann dabei unter circa 40 Bewerbungen die besten Kandidaten aussuchen. Der Beruf der Polygrafin, des Polygrafen, der auf die digitale Verarbeitung von Print- und Online-Medien spezialisiert ist, ist für die Jugendlichen sehr attraktiv – obwohl durch die Umwälzungen im grafischen Gewerbe immer weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.

Ganzheitliche Beurteilung
Beide Firmen investieren viel Zeit in die Evaluation der Kandidatinnen und Kandidaten: Sowohl Eschtec als auch Genius Media setzen auf Schnupperarbeit. Dabei wird nicht nur auf die Geschicklichkeit bei der Arbeit geachtet, sondern die Kandidaten werden ganzheitlich beurteilt. Kriterien sind etwa Bereitschaft und Durchhaltewillen, gezeigtes Interesse, Selbstständigkeit und die schulischen Leistungen. «Selbstverständlich spielt auch die Sympathie eine wichtige Rolle», sagt Gaby Amort von Eschtec.

Auswahl ist zentral
Wie wichtig es ist, die richtigen Kandidaten zu finden, betont Martin Albiez, Berufsbildner bei Genius Media. Die Selektion sei zentral für eine erfolgreiche Berufsausbildung. Das Vertrauen in den Lehrling müsse schon beim Start der Lehre gegeben sein. Albiez ist überzeugt, dass die Auswahl im Team stattfinden müsse und nicht von einer Person getragen werden sollte, die nicht mit dem Lehrling zusammenarbeitet. Bei Genius sind die Lehrlinge voll in den betrieblichen Alltag eingebunden und arbeiten selbstständig – ein Gewinn für den Lehrling und für den Betrieb.

Wertvolle Nachwuchsförderung
Den richtigen Kandidaten auszuwählen, lohnt sich also. Denn die Lehrlingsausbildung bedeutet für die Unternehmen auch nach der Suche viel Aufwand, der umso grösser wird, wenn es zu Schwierigkeiten oder gar Lehrabbrüchen kommt. Vor allem in den ersten Jahren müssen die Berufsneulinge betreut und in die bestehenden Strukturen eingearbeitet werden. Martin Albiez schätzt, dass der Aufwand für die Lehrlingsbetreuung 10 bis 20 Prozent seines Pensums einnimmt, wobei die Arbeiten vor allem auch Administratives umfassen. Trotzdem sind sowohl Genius Media als auch Eschtec mit viel Engagement in der Lehrlingsausbildung tätig. «Wir finden es wichtig, jungen Menschen eine Möglichkeit zu geben, sich eine erfolgreiche Zukunft aufzubauen», sagt dazu Gaby Amort. Auch Martin Albiez schätzt es, als Berufsbildner die Möglichkeit zu haben, junge Menschen auf das Leben vorzubereiten. Von einem gelungenen Start ins Berufsleben profitieren die Betriebe schlussendlich genauso wie die Absolventen.
Miriam Waldvogel