Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 25.10.2017

«Fairmieter»

Vermieter entscheidend für das Überleben

Faire Vermieter oder «Fairmieter» können viel gegen das «Lädelisterben» bewirken.

 

 

Wenn wir uns nicht lähmen lassen vom Schreck, den die leeren Ladenlokale auslösen, sondern unseren Blick bewusst seitwärts lenken, sehen wir dort: Läden, die bestehen. Was machen diese Läden richtig, die alle auf ihre Art zur Belebung der Innenstadt beitragen? Wir haben mit Gewerbetreibenden gesprochen und sind auf ganz unterschiedliche Geschäftsmodelle gestossen. Aber einen wichtigen Faktor haben alle genannt: faire Vermieter.

Menschlichkeit zählt
«Holzwurm» Walter Zimmermann ist Mieter von José und Madlen Orellano – Zimmermann betreibt seit sechs Jahren sein Holzschnitzatelier an der Freiestrasse und hat gerade den längjährigen Mietvertrag erneuert. Er schätzt die menschliche Atmosphäre und den sorgsamen Umgang der Vermieter mit dem Haus und seinen Bewohnern. Jedes Jahr treffen sich alle zu einem gemeinsamen Essen. Da Zimmermann pensioniert ist, muss er nicht vom Ertrag seines Ladens leben. Der Laden bereichert sein Leben auf spezielle Art: als Herausforderung, als Aufgabe, als Ort der Begegnung. Wenn man ihn auf seinem Bänkli vor dem Haus sitzen sieht, ist die Zufriedenheit oft ansteckend und viele bleiben für einen kurzen Schwatz. Leute wie er sind für die Belebung einer Strasse viel wert.
Über die gleichen wohlwollenden Vermieter ist auch das Reisebüro The Traveller glücklich. Am 1. September eröffnete Annatina Jaeger ihr Geschäft. Die Reisefachleute schätzen das Ambiente und nennen ihren Laden liebevoll «unser Stübli». Herr und Frau Orellano meinen: Passen­de Mieter sorgen für eine gute Atmosphäre, langfristige Mietverhältnisse, wenig Leerstände und führen somit auch für den Vermieter zum Erfolg.

Individuelle Geschäftsmodelle
Auch die Thurgauer Tagblatt AG vermietet Räume in der Frauenfelder Altstadt. Zu den Mietern gehört der Hut- und Schuhladen Hilde Market sowie Calida, beide in der Zürcherstrasse 177. Bei der Auswahl ihrer Mieter achtet die Thurgauer Tagblatt AG auch auf marktwirtschaftliche Kriterien. Sie prüft, ob die Geschäftsidee an dieser Lage realistische Chancen hat und welchen Bedürfnissen das Ladenlokal angepasst werden muss. Hilde Market ist zufrieden mit ihrer Vermieterin. Der Mietzins sei angemessen und die Lage gefalle ihr sehr. Ihr liebevoll und kreativ gestaltetes Ladenlokal zieht seit Jahren eine treue Kundschaft an – neuerdings bietet Hilde Market sogar die Möglichkeit, das Shoppen mit der Mittagspause zu verbinden.
Die Vermieter sind aber auch bereit, beim Realisieren von Projekten zu helfen – beispielsweise der Jugendorganisation «Förderung der Jugendarbeit», welche seit 15 Jahren nebst Angeboten für Jugendliche auch die Gassenküche an der Grabenstrasse beherbergt. Diese haben ihre Räumlichkeiten selber renoviert und können so von einem günstigen Mietzins profitieren.

Passende Mieter
Die Ausstellungsflächen der Wohnbedarf Frauenfeld GmbH erstrecken sich über drei Etagen an der Zürcherstrasse 209. Die Geschäftsführer Bernhard Breu und Thomas Singer schätzen besonders die faire Mietsituation dank der zuvorkommenden Vermieterin. Mit dem Zugang auch von der Grabenstrasse her sind die Räumlichkeiten für das Einrichtungsunternehmen gut geeignet. Die Vermieterin suchte lange, um die passenden Mieter für dieses Geschäftshaus zu finden. So war auch kein Umbau mehr nötig. Weil alles passt, sind Breu und Singer schon seit 10 Jahren im Haus, obwohl sie die Verkehrssituation in der Vorstadt als höchst problematisch empfinden.

Neues wagen
Offenheit für eine neue Idee zeigten die Vermieter Alex und Yara Borges. Sie gaben Bernhard Berchtold die Möglichkeit, neben den Räumlichkeiten für sein neutrales Sanitärplanungsbüro ein Ladenlokal an der Freiestrasse zu mieten. Er betreibt darin zwei Kreativräume: zum einen den Secondhand-Design-Laden RaumGut, zum anderen einen Holzwerkraum, in dem jeder gegen eine kleine Gebühr mit Holz werken kann. Dabei sind Werkzeuge, Maschinen und gute Tipps inbegriffen. Beide Angebote sind am Mittwochnachmittag und samstags geöffnet.

Zündende Geschäftsideen
Eine neue Idee zündet im Ladenlokal an der Zürcherstrasse 201, in dem sich bis vor Kurzem das Coiffeurgeschäft Staeheli befand. Die neuen Eigentümer der Liegenschaft, Aja und Felix Brunner, eröffnen am 11. November einen Pop-up-Shop. Dieser soll ein Bege­gnungsort sein, den verschiedene Anbieter während einigen Wochen oder Monaten zu fairen Konditionen mieten können, um ihre Ideen zu testen oder Waren zu verkaufen. Die Räumlichkeiten können auch als Galerie genutzt werden. Man darf gespannt sein, was sich daraus entwickelt.

Dies sind nur einige positive Beispiele. Natürlich gäbe es noch viele weitere, die zeigen, dass verantwortungsvolle Vermieter zur Belebung ganzer Quartiere beitragen können.

Wohnraum subventioniert Geschäftsraum
Stadtentwickler weisen schon länger darauf hin: Eine entscheidende Massnahme, um dem Lädelisterben entgegenzusteuern, liegt in den Händen der Liegenschaftsinhaber. Seit dem Wirtschafts­boom der 1960er- und 70er-Jahre gehörten die Erdgeschosse dem Detailhandel – jetzt wo die Erträge aus der Ladenvermietung sinken oder ausbleiben, sind die Eigentümer gefordert, sich an die Situation anzupassen. Die Entwicklung geht dahin, dass in den Obergeschossen Wohnungen gewinnbringend vermietet werden – Wohnraum in zentraler Lage ist schliesslich begehrt. Das ermöglicht, die Ladenmieten niedrig zu halten und so im Erdgeschoss neue krea­tive Nutzungen zuzulassen. So hat neues Leben in der Stadt eine Chance.

(mw/nz)