Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 19.03.2025

Mit spitzer Zunge zur Krone: Betty Dieterle triumphiert bei der 18. «Krönung»

Kleinkunst-Festival «Die Krönung» in Aadorf

Das Kleinkunst-Festival im Kulturzentrum Aadorf präsentierte am vergangenen Wochenende seine 18. Auflage. Es ist kurz nach Mitternacht. Aber im Kulturzentrum ­Aadorf schläft niemand. Über fünf Stunden Kabarett, Comedy und Musik liegen hinter dem Publikum. Manch einer holt sich noch einen Kaffee. Andere wiederum füllen noch die Bewertungszettel aus. ­Wieder andere sind schon gegangen. Wer bis jetzt durchgehalten hat, wird später belohnt, als Kaba­rettistin Betty Dieterle zur Siegerin des Samstagabends gekrönt wird und eine weitere Nummer zum Besten gibt.

 

 

«Die Krönung», das vom Kulturveranstalter «Gong» organisierte Kleinkunst-Festival im Kulturzentrum Aadorf, geniesst in ihrer 18. Auflage längst überregionale Bekanntheit. Das Konzept des Festivals ist einzigartig in der Region: An zwei Abenden präsentieren sich acht Künstlerinnen und Künstler, um dann vom Publikum zum Ritter, Barde, Hofnarr, Prinz und Prinzessin, Scharfrichter und König oder Königin gewählt zu werden. Am Freitagabend hatte das Publikum bereits den deutschen Komiker Philipp Weber zum König ernannt. Eine halbe Stunde steht jedem Künstler zur Verfügung, um das Publikum von sich zu überzeugen. Viel Überzeugungsarbeit mussten die Moderatoren Patti Basler und Philippe Kuhn nicht leisten: Das Duo ergänzte sich perfekt: Basler mit scharfzüngigen Pointen, Kuhn mit musikalischem Esprit. Besonders witzig war ihre selbst erklärte Integrationsarbeit für Besucher «mit deutschem Migrationshintergrund», wie Patti Basler es ausdrückte. Den krönenden Abschluss jedes Blocks bildete eine improvisierte musikalische Zusammenfassung. Das Publikum wählte per Applaus die Melodien, im ersten Teil fiel die Wahl auf Mani Matters «Zündhölzli», im zweiten auf den Eagles-Klassiker «Hotel California». Während Basler das Gesehene in Echtzeit textlich verdichtete, sorgte Kuhn für die musikalische Untermalung - ein Kunststück, das begeisterte und erneut für Lacher sorgte, bevor es in die Pause ging. Hier bewirteten die Helfer des Vereins Gong mit Gerstensuppe, Würste, Kaffee und Kuchen.


«Grande Dame» des Kabaretts
Scharfzüngig, wortgewandt und lautstark trat Betty Dieterle auf, angekündigt als «Grande Dame» des Schweizer Kabaretts. Neben Witzen über das Altern ging es auch Politikern wie Rösti, Ritter und Pfister an den Kragen. «Schweizer Politik ist wie Schweizer Fernsehen: Die Frauen tragen Häubchen und die Männer sind Patriarchen», fand sie. Auch die wirtschaftliche Lage beschäftigte sie: «Die Krankenkassenprämie ist höher als meine Miete», musste Betty Dieterle feststellen. Am menschlichen Verstand zweifele sie: «Jetzt, wo sich der gesunde Menschenverstand verabschiedet, probieren wir es mal mit künstlicher Intelligenz.» Geradeheraus und mit «Haaren auf den Zähnen» provozierte sie immer wieder Reaktionen vom Publikum und Zwischenapplaus. So sang sie zur Melodie der Königin der Nacht über die Leiden der Menopause.


Während Betty Dieterle mit pointierten Worten überzeugte, setzten die «Sexdepps» ganz auf die Kraft der Musik. Die fünf Acapella-Sänger hatten einen Vorschlag für den Frühling mitgebracht: «Tauben vergiften im Park» erklang lieblich und strahlend hell. Die «Sexdepps» bestehen seit 25 Jahren und waren anfangs noch ein Sextett. Ihre lustigen und pointierten Lieder kamen beim Publikum so gut an, dass sie auf Platz zwei landeten und vom Publikum den Titel der «Scharfrichter» verliehen bekamen.


Seltene Krankheit
Mit Gesang, Instrumenten und Wortwitz unterhielt das Duo «Blum&Meyer». Hier litt einer der Sänger unter MHS, einer seltenen Krankheit, die bewirkt, dass der Gitarrist immer bei Worten, die einen Musikstil enthalten, ein Lied spielt. So berichtete der andere von einem Menü im Restaurant: Hier habe es Meringues als Dessert gegeben, prompt erklang ein Merengue-Rhythmus. Den Ratschlag, sich nicht «uf zu rege», quittierte der Gitarrist mit einem Reggae. 


Aufregen musste sich auch Kabarettist Olaf Bossi aus Deutschland. Und zwar über Elon Musk. Seit dieser in der amerikanischen Regierung sei, immer wieder als dessen Doppelgänger für ein Selfie herhalten musste. Bei ihm Zuhause werde allerdings ausgemistet und dies war ihm einige Witze wert. 


Nicht so ordnungsliebend war Marie Diot, zumindest wenn es nach ihrer Frisur ging. Die lustig aufgetürmten Haare liessen schon erahnen, dass das Publikum sich auf viel Quatsch freuen durfte. Marie und ihr Partner präsentierten dann Lieder, die überraschendaher kamen. So ging es zum Beispiel um ein Thema, das jeder in einer Partnerschaft kenne, kündigte die Musikerin an und sang von Fischvergiftung. Ausserdem lud sie die Aadorfer ein, in ihren Heimatort nach Norddeutschland zu fahren, wenn sie einmal nichts erleben wollten. Sie freute sich, dass Aadorf im Gegensatz zu Burgdorf weniger Kreisverkehr und Tankstellen zu bieten hatte.


Influencer und Boomer
Komikerin und Schauspielerin Stefanie Alder beeindruckte durch ihre Wendigkeit, sie kam als Influencerin auf die Bühne und verabschiedete sich als Landfrau Regula. Während sie sich als Influencerin über die Location und das ihr zu alte Publikum voller «Boomer» beschwerte, versuchte sie ein Video für Social Media aufzunehmen. Als Landfrau präsentierte sie einen «Striptease», bei dem sie alle Kleidungsstücke anbehielt, um am Ende einen pinkfarbenen BH ins Publikum zu werfen. 


Apropos Publikum: Dieses musste an diesem Abend einiges aushalten: Ob Witze über Lehrpersonen und Deutsche oder der Mann in der ersten Reihe, der für die Boomer-Witze herhalten musste. Zielscheiben fanden sich für das Moderatoren-Duo und die Komiker genügend. Was das Publikum jedoch schnell verzieh - immerhin gab es an diesem Abend reichlich Grund zum Lachen.


Einer Dialektgattung der etwas anderen Art widmete sich Jovana Nikic. Sie fing mit einem Gedicht von Mani Matter an und endete mit Poetry-Slam auf Berndeutsch - in Hochgeschwindigkeit. Anschliessend forderte sie das Publikum auf, ihr einen breiten Berner «Au»-Laut zu geben. Die Bernerin mit den kroatischen Wurzeln berichtete darin von ihrer Integration in einem kleinen Berner Dorf. Das Witzige dabei: Am Dialekt konnte niemand erkennen, dass sie nicht aus der Berner Gegend stammte. 


Rasant ging es weiter: Auf dem Velo fuhr Monika Romer auf die Bühne und sang in zehn verschiedenen Varianten von ihrer Kaffee-Sehnsucht auf einer Velo-Tour. Da wurde «Atemlos» von Helene Fischer umgedichtet in «Kaffeelos». Augenzwinkernd gab sie dem Publikum «Rad-schläge» mit. Einer davon: immer eine Bialetti mit dabeizuhaben.


Strahlende Siegerin
Zurück zur «Grande Dame» des Schweizer Kabaretts: Betty Dieterle strahlte, als sie die Krone entgegennahm. «Ich bekomme selten Preise», gestand sie mit sichtlicher Freude und fragte in die müden, aber zufriedenen Gesichter im Publikum, ob es zu dieser späten Stunde noch eine Zugabe wünsche. Die Antwort war ein begeisterter Applaus.


Also legte die Kabarettistin noch einmal nach und erzählte von ihrem fiktiven Plan, mit 59 noch ein Kind zu bekommen. Ihr Mann sei zwar schon über siebzig, aber da könne man später ja die Windeln für beide kaufen – für das Baby und den Mann. «Schliesslich heisst es ja Familienpackung!» Und so endete die 18. «Krönung» von Aadorf, wie sie begonnen hatte: mit herzlichem Gelächter und dem Gefühl, dass sich das lange Ausharren mehr als gelohnt hatte. Elke Reinauer