Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 29.01.2025

Auf den Spuren des Wolfs und der Veränderung

Ein Städter sucht im Tamina-Tal nach Wölfen. Statt Raubtieren begegnet er Menschen zwischen Stabilität und Umbruch. Der neue Film des Frauenfelder Regisseurs Beat Oswald ist eine poetische Auseinandersetzung mit unserem Verständnis der Natur. 

 

 

Ihr Film «Tamina – Wann war es immer so?» ist sehr assoziativ. Ergab sich das während des Drehs oder wurde das so inszeniert?
Beat Oswald: Es ist eine Mischung. Bevor wir mit dem Schreiben und dem Dreh angefangen haben, bin ich als Mensch und nicht als Filmemacher öfters im Tal gewesen. Ich habe die Bevölkerung ohne Kamera kennengelernt, in langen Gesprächen, die wir über Gott und die Welt hatten. Aus diesen Begegnungen und den Wanderungen in diesem Gebiet habe ich mein Notizbuch gefüllt, das Wolfsjournal hiess. In dem Spannungsfeld zwischen Stabilität und Veränderung, das mich interessierte, befanden sich die Schule, das Hotel, die Frauengemeinschaft und die Aussteiger. Ich wusste also schon, mit welchen Kräften ich arbeiten möchte. Geplant war auch, mit allen Protagonistinnen und Protagonisten zuerst im Wald über das Thema Wolf und Natur zu sprechen. Aufgrund dieser Basis konnten wir danach mit dem Material im Arbeits- und Produktionsprozess viel freier umgehen. 


Filme sind also für Sie vor allem ein Denkprozess?
Beat Oswald: Absolut. Mich interessiert, wie Gedanken im Film platziert werden können. 


Besteht die Gefahr, dass das Publikum davon nicht nur positiv irritiert ist?
Beat Oswald: Absolut. Ich wollte einen Essay-Film machen. Die können sperrig sein. Mein Film ist keine politische oder biologische Abhandlung über den Wolf. Ich wollte und will zu einem Dialog einladen. Wieviel Wolf es sein darf, das war auch während des Prozesses immer ein Thema. Der rote Faden – wir gehen einen Wolf suchen – ist essenziell, damit die Menschen sich mit mir auf die Wanderung begeben. 


Für mich ist das verbindende Element die Entwicklung des Lebensraums, demjenigen der Wölfe und unserem eigenen. Diese Aspekte spiegeln sich auch in anderen Geschichten, die Sie im Film erzählen. 
Beat Oswald: Das ist einer von vielen Prozessen, die bei mir auch stattgefunden haben. Die simple Frage, wer zuerst da war. Die Zeitachse spielt eine grosse Rolle. Das Tal war schon immer der Lebensraum der Tiere und irgendwann wurde dann das Dorf gebaut. Im Film kommt immer wieder etwas dazu. Das war das Schnittkonzept von Cutterin Lena Hatebur. Sie wollte, dass es stets ein Rädchen weitergeht und man am Schluss sieht, wie alles zusammenhängt. Mit diesem Konzept hat sie die Entwicklung der Geschichte massgeblich beeinflusst. 


Lena Hatebur ist zudem auch als Co-Regisseurin aufgeführt, genauso wie Samuel Weniger. Wie haben Sie sich kennengelernt, da Sie selbst ursprünglich nicht Film studiert haben? 
Beat Oswald: Das stimmt. Ich habe zuerst das Lehrerseminar in Kreuzlingen besucht, dort traf ich Samuel Weniger. Er hat danach in Luzern Film studiert, ich Ethnologie und Publizistik in Zürich. Für ein Kurzfilmprojekt habe ich Samuel dann wieder kontaktiert. Lena Hatebur lernte ich durch das Cinema Luna kennen, als ich dort eine Essay-Filmreihe kuratiert habe und ein von ihr geschnittener Film in diesem Rahmen gezeigt wurde. Als Samuel und ich dann an unserer ersten Langfilm-Dokumentation «Golden Age» arbeiteten – über eine Luxus-Altersresidenz in Florida – habe ich Lena als Cutterin mit an Bord geholt.


Wie kommt man als Ethnologe zum Film? 
Beat Oswald: Während meines Studiums konnte ich ein Filmprojekt in Grönland begleiten, das war die Weichenstellung. Noch vorher war ich Teil einer Metalcore-Band und habe das sehr intensiv gelebt. Dann hatte ich einen Hörsturz – was das Ende bedeutete für meine erste Liebe, die Musik. Meine Liebe zur Kunst gedieh aber weiter, und da ich schon immer Gedichte und Lyrics geschrieben habe, entwickelte sich dann langsam die Liebe zur Literatur und Film.  


In «Tamina» taucht am Anfang kein Wolf auf, sondern erstmal ein ausgestopfter Hase. Was hat es damit auf sich? 
Beat Oswald: Der Hase heisst Johannes. Im Johannes-Evangelium wird die Apokalypse angesprochen. Es gibt dort eine Stelle, an der es sinngemäss heisst, dass die Zeit der Teufel ist. Sprich, dass wir – je stärker wir das Gefühl haben, auf das Ende zuzusteuern – immer in Versuchung sind, schlechte Entscheidungen zu treffen. Diese Dualität zwischen Zeit und Moral ist gerade hinsichtlich des Klimawandels absolut zentral. Dafür steht der Hase als Metapher. 


Über welchen Zeitraum waren Sie in Vättis und haben dort Ihr Zelt aufgeschlagen?
Beat Oswald: Im Zelt haben wir wenig geschlafen. Vor allem haben wir im Massenlager am Feuerwehrdepot übernachtet. Über die dreieinhalb Jahre, die wir dort geschrieben, gedacht und gefilmt haben, sind wir zwischen 40 und 50 Mal in Vättis gewesen. Meistens für drei oder vier Tage. Die knapp 400 Einheimischen kannten uns schon bald und wir wurden in dieser Zeit ein Teil vom Dorf. 


Wie wurden die Dreharbeiten vor Ort und dann der fertige Film von der Dorfbevölkerung aufgenommen? 
Beat Oswald: Unterschiedlich. Einige waren sehr offen dafür, andere ein wenig genervt. Ich denke, die meisten glaubten nicht daran, dass dieser Film entsteht. Sie waren sich bis anhin gewohnt, dass der «Blick» vorbeikommt, wenn etwas Schlimmes passiert und am nächsten Tag dann etwas Reisserisches über ihr Dorf in der Zeitung steht. Tatsächlich war das am Anfang ein Thema, bis den Einwohnerinnen und Einwohnern nach einem Jahr so langsam klar wurde, dass wir immer wieder auftauchten und anders mit ihnen umgegangen sind. Als wir ihnen den Film schliesslich gezeigt haben, gingen die Reaktionen von tief bewegt, überrascht, begeistert bis zu gleichgültig und auch ablehnend. Aber alle haben verstanden, dass wir sie nicht als Stellvertreter für irgendwelche Grabenkämpfe benutzt haben, sondern das eine Begegnung auf Augenhöhe war. 


Als Sie dort in den Wäldern unterwegs waren, hatten Sie nie Angst, tatsächlich einem Wolf zu begegnen? 
Beat Oswald: Doch, sicher. Vor allem am Anfang, als ich ganz alleine unterwegs war. Es gab eine solche Situation im Winter, als wenig Schnee lag. Ich war in der Nähe von Vättis, in Kunkels, und dort habe ich am Waldrand Spuren gesehen sowie Kot mit Knochen und Haaren. Da wusste ich: Wolf. Ich bin dann alleine diesen Spuren nachgegangen. Irgendwann fragte ich mich aber, was ich hier eigentlich mache und habe kehrtgemacht. Nach zwei Jahren, als ich immer noch keinen Wolf gesehen habe, war mir klar, dass ich vermutlich keinem wilden Tier mehr gegenüberstehen würde. 


Beat Oswald ist in Frauenfeld geboren und in Aadorf aufgewachsen. Heute lebt und arbeitet er in Frauenfeld und hat sein Atelier in der Baliere. Am 4. Februar findet in seiner Anwesenheit im Cinema Luna die Vorpremiere des Films statt. Infos zum Film und Tickets: www.cinemaluna.ch


Sarah Stutte