Frauenfeld · 13.11.2024
«Brücken bauen zwischen den Generationen»
Zuhören und beraten – Wie Frauenfeld seine Senioren unterstützt

Über 100 Besucherinnen und Besucher haben den diesjährigen Internationalen Tag der älteren Menschen (ITAM) am Nachmittag des 1. Oktober im Bürgersaal des Rathauses Frauenfeld gewürdigt. Einsamkeit im Alter war hier ein Thema. Dieses betrifft viele alte Menschen. Vielleicht sind Freunde, Verwandte und Bekannte verstorben und man sitzt allein in einem viel zu grossen Haus. Die Frauenfelder Woche hat beim Besuchsdienst der Katholischen Pfarrei St. Anna und beim Amt für Alter nachgefragt, was alte Menschen beschäftigt.
«Man muss aktiv etwas tun, sich nicht zurückziehen und nicht darauf warten, dass jemand anklopft», sagt Helena Gruber, die seit 20 Jahren als Freiwillige im Besuchsdienst der Katholischen Pfarrei St. Anna in Frauenfeld ältere Menschen besucht. «Ich sehe meine Aufgabe als Brückenbau zwischen den Generationen.» Für sie ist das Engagement ein Beitrag an die Gemeinschaft. Die 76-Jährige war 30 Jahre lang Religionslehrerin und ist auch im Ruhestand noch sehr aktiv.
Sie erinnert sich an ihre ersten Erfahrungen im Besuchsdienst: «Bei meinem ersten Besuch sagte die Frau: ’Ich kenne Sie doch. Was wollen Sie hier? Ich brauche keine Spitex oder Nachbarschaftshilfe.’» Gruber erklärte ihr, dass sie keine medizinische Hilfe anbiete, sondern einfach zum Plaudern da sei. Doch zunächst blieb die ältere Dame skeptisch und lehnte weitere Besuche ab. Später lud sie Gruber doch noch einmal ein – und sagte den Besuch in letzter Minute ab. Der Grund? Sie hatte sich für das Treffen extra frisiert und fühlte sich dann unsicher. Aus diesem vorsichtigen Anfang entwickelte sich eine herzliche Verbindung.
Häufig sei es anfangs eine Herausforderung, erzählt Gruber. Viele ältere Menschen hätten die Besuche zunächst abgelehnt, bevor sie Vertrauen fassten. «Ein älterer Herr fragte mich sogar: ’Schwärmst du etwa für mich?’, als ich ihm eine Karte mit einer kleinen Flasche Wein in den Briefkasten legte.» Besonders eindrücklich erinnert sie sich an eine über 90-jährige Frau, die sich nach Weihnachten immer wieder auf politische Diskussionen freute – «aber nur mit meinem Mann, denn Politik ist schliesslich ’Männersache’», schmunzelt Gruber.
Angst vor dem Tod
Ein typischer Besuch beginnt mit einem kurzen Anruf zur Terminabsprache, dann verbringt Gruber etwa zwei Stunden bei der jeweiligen Person – manchmal sogar länger. «Zuhören ist meine Aufgabe», sagt sie. Die Gespräche drehen sich um Gott und die Welt, oft auch um Erinnerungen und den Tod. «Viele ältere Menschen haben Angst vor dem Tod oder davor, wie sie einmal sterben werden – und vor allem, ob sie dann alleine sind.» Gerade das Thema Tod sei immer noch ein Tabu in der Gesellschaft. Gruber, die auch als Religionslehrerin Kinder zu Friedhöfen begleitete, ist überzeugt: «Der Tod gehört zum Leben. In meiner Kindheit im Dorf war es selbstverständlich, den Verstorbenen zu Hause im Sarg aufgebahrt zu sehen. Das hat den Umgang mit dem Tod erleichtert.»
Früher lebten die Generationen meist unter einem Dach, vor allem in Bauernhäusern, erzählt Gruber. «Heute sind Kinder und Enkel oft im ganzen Land verstreut und kommen nur noch gelegentlich zu Besuch. Diese fehlende Nähe ist eine grosse Lücke im Leben vieler älterer Menschen. Wir sollten wieder mehr Gemeinschaftssinn pflegen.»
Mit dem Alter, weiss Gruber, würden viele Menschen empfindsamer und stellten sich Fragen nach ihrem Lebenssinn. «Einige sagen: ’Ich war mein Leben lang für andere da – und jetzt?’ Dann bleibt oft nur die Aussicht, die letzten Jahre im Pflegeheim zu verbringen.»
Alexandra Mayer vom Besuchsdienst informiert: «Der Besuchsdienst der Katholischen Pfarrei St. Anna in Frauenfeld besteht aus 35 Helferinnen und Helfer, die rund 160 ältere Menschen regelmässig besuchen, sei es zum Geburtstag und zur Adventszeit. Die Besuche finden aber nur auf Anfrage statt. Wenn die Besucher möchten, können sie die älteren Menschen auch öfters, aber dann nicht im Namen des Besuchsdienstes.»
Gruber selbst besuchte früher sechs bis acht Menschen, hat ihre Besuche jedoch auf eine Person reduziert, da sie mit 76 Jahren etwas kürzertreten möchte.
«Es braucht Mut»
Doris Wiesli ist seit März 2021 im Amt. Seit Mai 2024 hat die Fachstelle Alters- und Generationenfragen der Stadt Frauenfeld darüber hinaus das Mandat für die Kantonale Fachstelle Alter Bezirk Frauenfeld für die Frauenfelderinnen und Frauenfelder inne. Sie stellt fest, dass Einsamkeit ein grosses Thema ist. Allerdings falle der Begriff selten explizit, berichtet sie. Das ungewollte Alleinsein werde aber oft in Beratungsgesprächen sichtbar. Für die Betroffenen brauche es Mut, Angebote für soziale Kontakte in Anspruch zu nehmen.
Es gibt eine Vielzahl von Angeboten in der Stadt Frauenfeld. Diese sind in der Broschüre «Wegweiser für ein zufriedenes Älterwerden in Frauenfeld» aufgeführt. Der Wegweiser ist kostenlos bei der Stadt (am Infoschalter oder bei der Fachstelle) erhältlich. «Wir versuchen stets, die ältere Bevölkerung zu wichtigen Themen zu informieren und organisieren dafür die Themenreihe «Alter gestalten». Im Newsletter der Fachstelle Alter, der kostenlos abonniert werden kann, wollen wir circa sechsmal jährlich auf anstehende Veranstaltungen oder Neuerungen zum Thema Älterwerden aufmerksam machen», so Doris Wiesli.
Soziale Kontakte erleichtern
«Der Zugang zu den Angeboten ist für die Menschen aus meiner Sicht eine grosse Herausforderung. Wenn der Radius der älteren Bevölkerung kleiner wird, ist ein Teil der Altersarbeit auch die grosse Aufgabe, den Zugang zu Angeboten für soziale Kontakte möglichst zu erleichtern. Ich gehe davon aus, dass Menschen, die von sozialer Isolation bedroht sind oder bereits sozial isoliert sind, kaum von sich aus den Kontakt zu mir und anderen Organisationen im Altersbereich suchen. Deshalb ist auch die Zusammenarbeit aller Akteurinnen und Akteure in der Altersarbeit so immens wichtig, worauf wir in Frauenfeld ein grosses Gewicht legen.»
Eins der vielen Themen, die ältere Menschen beschäftige, sei das Thema Wohnen. «Das Thema Wohnen im Alter ist nochmals spürbar grösser geworden. Der Wohnraum ist knapp, preisgünstiges Wohnen rar, gestiegene Wohn- und Lebenskosten lösen Ängste aus. Das ist in der Altersarbeit gut spürbar. Spannend erlebe ich die Tendenz, dass sich jünger älter Werdende – die sogenannten Babyboomer – teilweise bereits vor der Pensionierung mit dem Wohnen im Alter auseinandersetzen.» Daran lasse sich gut erkennen, dass sich der Begriff «ältere Menschen» auf zwei bis drei Generationen erstrecke und die Vielfalt der Personengruppen sehr gross sei, erklärt Doris Wiesli. «Die Anliegen der älteren Menschen sind es ebenfalls: Oft geht es neben dem Thema Wohnen um Unterstützung bei digitalen Geräten, Finanzen, Vorsorge, soziale Kontakte oder betreuende Familienangehörige informieren sich über Entlastungsmöglichkeiten und vieles mehr.»
Die Anliegen älterer Menschen sind also vielfältig: Sie suchen Beratung zu Wohnformen und deren Finanzierung, benötigen Hilfe mit digitalen Geräten oder wünschen Unterstützung als pflegende Angehörige. Auch Fragen zu Vorsorge, Patientenverfügung und sozialen Kontaktmöglichkeiten sind häufig. Die Beratung erfolgt sowohl direkt mit Senioren als auch über Angehörige und Fachstellen. Oft ergeben sich aus einem ersten Anliegen weitere Themen, die koordiniert und schrittweise angegangen werden.
Kontaktinfos
Katholischen Besuchsdienst Pfarrerei St. Anna: Alexandra Mayer, E-Mail: alexandra.mayer@kath-frauenfeldplus.ch, Telefon: 052 725 02 70.
Fachstelle für Alters- und Generationenfragen: Doris Wiesli, Rathausplatz 1, 500 Frauenfeld, Telefon: 052 724 53 00.
Elke Reinauer