Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 24.10.2024

Nach Fischsterben: Lösungen gefordert

Wiederkehrende Pannen bei der Schweizer Zucker AG Frauenfeld

Wenn in der Frauenfelder Luft ein karamellartiger und erdiger Duft liegt, dann erkennen viele darin den Duft ihrer Heimatstadt. Ein sicheres Zeichen dafür, dass die Zuckeri gerade auf Hochtouren produziert. Doch wenn sich in den zuckersüssen Duft der Gestank verendeter Fische mischt, schlägt die Heimatsentimentalität vieler Frauenfelder in Besorgnis um. 

 

 

So ereignete sich in der Nacht vom 13. auf 14. September ein folgenschwerer Zwischenfall: Roh-Zuckersaft aus dem Extraktions-Turm der Fabrik gelangte in den Tägelbach: Mehrere hundert Bachforellen verendeten an Sauerstoffmangel.
Diese Havarie reiht sich in eine Serie ähnlicher Vorfälle ein: Im September 2019 floss warmes Wasser in den Tägelbach. Ein Riss in einer Leitung war schuld daran. Auch damals starben Bachforellen im Tägelbach wegen Sauerstoffmangels. Nach dem Vorfall wurde die undichte Stelle im Turm abgedichtet, um das Austreten von Restwasser zu verhindern. 
Ein Jahr später, im November 2020, löste sich die Abdichtung und wieder gelang sauerstoffarmes Wasser in den Tägelbach.


Ein weiteres Mal mussten die Bachforellen daran glauben. Im vergangenen Jahr gab es einen technischen Defekt in einer Kalkstation. Kalkhaltige Flüssigkeit drang über den Schollenholzbach in den Tägelbach.  Vor einigen Wochen dann wieder eine Panne mit Folgen. Das Amt für Umwelt trat daraufhin mit Forderungen nach Auflagen an die Zuckeri heran. Doch das war nicht das erste Mal: „Wir sind im ständigen Austausch mit der Zuckerfabrik“, sagt Silvia Högger vom Amt für Umwelt. Anlässlich dieser Begehungen wurden auch in der Vergangenheit Verbesserungsmassnahmen besprochen. „Es ist ein grosses Areal, welches über viele Schächte entwässert werden muss.“, so Silvia Högger. Die Grösse mache es schwer, den Überblick, vor allem in einem hektischen Moment, zu behalten. Das Amt für Umwelt kontrolliere regelmässig die Gegebenheiten auf dem Areal. 
Auch in der Nacht vom 13. auf 14. September wurde das Amt für Umwelt informiert. Kurt Schmid von der Jagd- und Fischereiverwaltung des Kantons beschreibt die Auswirkungen des jüngsten Vorfalls: «Ich weiss von mehreren hundert Bachforellen, die verendet sind; eine genaue Zahl kenne ich nicht. Es ist auch nicht immer möglich, alle Fische zu erfassen, ­insbesondere wenn die Alarmierung wie in diesem Fall mitten in der Nacht erfolgt.» Er erklärt den zugrunde­liegenden Mechanismus: Bei organischen Verschmutzungen setzen ­Mikroorganismen einen kohlenstoffabbauenden Prozess in Gang, der dem Wasser lebensnotwendigen Sauerstoff entzieht - besonders fatal für die sehr sauerstoffbedürftigen Bachforellen.
 
Wiederaufbau des Fischbestands
Jetzt werde der Bestand im Tägelbach wieder aufgebaut. Kurt Schmid erläutert, dass die Bestände der Bachforellen in vielen Fliessgewässern im Thurgau und der Schweiz mit Besatz unterstützt werden. Dabei werden Eier und Samen von Forellen in der Fischbrutanlage abgestreift, die Eier befruchtet und unter idealen Bedingungen ausgebrütet. Später werden die jungen Forellen im Gewässer ausgesetzt. Je früher nach dem Schlupf man das tut, desto weniger gewöhnen sich die Fische an die Bedingungen in der Brutanlage.
Besatz kann verschiedene Gründe haben. Meist ist das der Fall, wenn die natürliche Fortpflanzung in so einem Bach nicht mehr oder nicht ausreichend funktioniert. Eine weitere Ursache: ein unzureichend natürlicher, gesunder Zustand des Gewässer-Lebensraums.


Gewässer aufwerten
Man spricht dabei von ökologischen Defiziten, die einen sehr geringen Fischbestand zur Folge haben können, den man mit Besatz ein Stück weit ausgleichen will. «Seit mehreren Jahren schon ist jedoch ein wichtiges Umdenken im Gange – anstatt jedes Jahr per se junge Forellen zu besetzen, investiert man immer mehr in die Aufwertung der Gewässer um dadurch die Voraussetzung zu schaffen, dass sich die Forellen wieder selbst erfolgreich im Gewässer vermehren können», so Kurt Schmid. Eine Lösung, die nachhaltiger sei. Doch wenn Bachforellen wegen Verschmutzung verendet sind, benötige die Natur mehr Unterstützung, da oft keine oder nicht mehr ausreichend Wildfische vorhanden sind, die den Bestand selbst wieder aufbauen könnten. Man spricht dann von Besatz zum Wiederaufbau.
Ist jedoch nicht der ganze Bach von der Gewässerverschmutzung betroffen, kann abgewogen werden, ob Besatz notwendig ist oder ob flussaufwärts des verschmutzten Abschnitts noch genügend Fische im Bach sind, die den Bestand im betroffenen Abschnitt flussabwärts selbst wieder aufbauen können. «Welchen Weg man im Tägelbach gehen wird, ist bisher nicht entschieden. Man muss die dann Situation beurteilen. Besatz würde dann sowieso erst im Frühjahr gemacht – zum natürlichen Zeitpunkt.»


Klimawandel als Herausforderung?
Der Klimawandel verschärft die Situation der einheimischen Fische zusätzlich. In heissen, trockenen Sommern wird es für Bachforellen kritisch, besonders in Gewässern ohne kühles Grundwasser und ausreichende Beschattung. Ab 20 Grad Wassertemperatur geraten die Bachforellen unter Stress, bei 25 Grad wird es lebensbedrohlich. «Im Tägelbach kam es allerdings, soweit ich zurückschauen konnte, nicht zu hitzebedingten Fischsterben oder Notabfischungen, nicht einmal während des Hitzesommers 2018», betont Kurt Schmid. Es bestehe da also kein Zusammenhang in diesem Fall. «Würde die Havarie mitten in einem heissen Sommer passieren, käme es wahrscheinlich zu verstärkten Effekten für die Fische», erläutert er.
Jetzt arbeite die Zuckeri an Lösungen. Für die Schäden sowie die kommenden Massnahmen muss das Unternehmen bezahlen. Fälle von Gewässerverschmutzung führen zur Anzeige.  
Zusammen mit einem Ingenieurbüro werde die Lage geprüft, heisst es von der Zuckeri. «Der Bau eines Rückhaltebeckens ist im Gespräch», so Raphael Wild, Leiter der Kommunikation der Zuckeri AG. Ein konkreter Zeitplan für die Umsetzung steht noch aus.


Elke Reinauer