Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 24.10.2024

Dritter Anlauf Afrikareise ist gescheitert

Ende April 2024 unternahm ich den dritten Versuch, Afrika auf dem unmotorisierten Velo zu erreichen. Wie ihr vielleicht wisst, erreichte ich im Sommer 22 Athen. Ich fuhr den ganzen Balkan ab und im September war ich in Patras. Im Sommer 23 fand der 2. Versuch statt, wobei mich in Slowenien ein Autofahrer touchiert hatte. Er rammte das Gepäck hinten und warf mich auf ein Wiesenstück. Zum Glück trug ich keinen Kopfschaden davon. Dann, im April 24, fand wie gesagt der dritte Anlauf statt.

 

 

Ich war sehr gut vorbereitet, sogar ein Einrad-Anhänger fuhr mit, auf welchem ich die sperrigen Sachen aufgeladen hatte: Zelt, Unterlagsmatten, Schlafsack. Und dann ging es los. 
Leider stellte sich heraus, dass ich den Zeitpunkt zum Aufbruch falsch gewählt hatte. Es wurde kalt und regnerisch, und mit jedem Tag verschlechterte sich meine Stimmung. In Verona war dann bereits Schluss: Ich schlief nicht mehr und hatte keinen Appetit, weshalb ich mich zum Abbrechen entschlossen und den nächsten Zug zurück genommen habe.
In Frauenfeld stürzte ich auf dem Bahnhofgebiet 4x hintereinander, weil der Kreislauf nicht mitspielte. Glücklicherweise war Röbi Hahn, Mitbewohner an der Kesselstrasse, ganz in der Nähe. Er hatte die Szene beobachtet und mich umgehend in sein Auto geladen und ins Kantonsspital hinauf gefahren. Dort stellte sich heraus, dass mit meiner Lunge etwas nicht stimmen konnte. Das Röntgen brachte es an den Tag: kleinzelliger Lungenkrebs, oder wie ich mir einredete: Du hast ein paar Mücken oder Käfer auf der Lunge. Beruhigt ungemein statt der nackten Wahrheit!
Die folgende Chemotherapie und Bestrahlung perlten sozusagen an mir ab, es gab weder Übelkeit noch sonst etwas, das mir zu schaffen machte. Ich fühlte mich pudelwohl. So sagte ich mir: zwar hast du Krebs, aber wenn die Chemo so harmlos verläuft, mache ich Chemo bis ich 130 Jahre alt werde (Lach…).
Man verpasste mir einen Rollator, da ich mich sehr unsicher auf den Beinen fühlte. Und so hatte ich also unvermittelt vom vollbepackten Reisetourenvelo zum Rollator gewechselt, statt Afrika Frauenfeld, statt Löwen, Elefanten und Nilpferde die Frauenfelder Strassen und Trottoirs. Was ich falsch einschätzte war, dass das Wildlife in Frauenfeld mindestens so gefährlich ist wie die Begegnung mit Löwen und Nilpferden!
Frauenfeld ist eine Rollatoren-Hölle, die jeden unbedachten, vor allem neu eingeführten Rollator-Schieber zu Fall bringen kann. Warum? Weil noch jeder Übergang zwischen Trottoir und Strasse mit Absätzen vollgepflastert ist. Es sind keine weichen Übergänge, sondern schroffe Abgründe von 5 bis zu 10 cm Höhe, immer senkrecht und kaum mal abgeschrägt. Es ist wie der Abgang vom Äscher im Alpstein. Kinder sollen an die Leine genommen werden, heisst es dort, es droht Absturzgefahr! Die kleinen Rollator-Rädchen, vor allem vorn, bringen das Gefährt zum Stocken, oft zum Stürzen.
Es gibt die ganz verschiedenen gefährlichen Übergänge, habe sie benamst. Da sind z.B. die «Denti della vecchia», ein Gebirgsmassiv im Tessin mit unregelmässig geformten Zähnen, eben wie ein altes Gebiss.
Oder das «Bauchfett», ein rundlich geformter Rücken aus Pflastersteinen, die den Übergang erst recht schwierig machen.
Oder das «Doppelkinn», ein doppelter Aufgang vor allem an Bushaltestellen. So einen Übergang wird man im Leben wohl nur einmal zu überwinden versuchen: das Kantonsspital lässt grüssen… Wehe, wenn man mit dünnen Pneus oder bei Regen die Aufgänge etwas zu flach nimmt, dann ist die Rutschgefahr gross, der Fall folgt subito. 
Auch Rampen sind für Rollatoren brandgefährlich. Die Haizähne sind auch schön, sehr gefährlich, wehe, man schneidet eine Kante etwas zu scharf an. Die Absätze folgen sich im Minutentakt, sobald man Strasse oder Trottoir verlässt. Die Höhen sind sehr variabel, von wenigen Millimetern bis zu 10 cm Höhen. Es beginnt also im Millimeterbereich, führt über mehrere Millimeter bis zu hohen Zentimeter-Zahlen. Aufgepasst! Es wundert mich, dass nie jemand Holland zum Vorbild genommen und die runden, langsamen Übergänge kopiert hat.
Aber Frauenfeld ist auch sehr schön. Es gibt viel zu entdecken, wenn man vorsichtig ist. Ich war während des Open Airs 24 unterwegs. Wobei, von aussen gesehen war das Open Air eine Enttäuschung. Alles war hermetisch abgeriegelt, es gab kaum Einblicke ins Gelände wie noch vor 20 Jahren. Es gab keine Volksfeststimmung, fast wie ausgestorben. Vor 20 Jahren noch herrschte Karneval mit einer riesigen Zahl Jugendlicher aller couleur, ein Gewoge der fröhlichen Art. Dieses Jahr keineswegs. Unten an der Pferderennbahn kam mir ein fröhlicher Bauwagenfahrer entgegen und fragte: «Hast du Zehnernötli gefunden»? Ich lachte überrascht und sagte: «Genau das wollte ich dich auch fragen»! Wir kamen überein, ein allfälliges Fundstück zu teilen.
Unten am Busbahnhof Mätteli herrschte aggressive Stimmung. Die Besucher männlichen Geschlechts sahen oft tutsch genau gleich aus: gekleidet in graue Kappen, mit rosiger Haut und Bauchansatz, kaum modelliert, mit Anflügen von Sonnenbrand und mit Bärten, die eher Besen glichen; ziemlich fadenscheinige Bärte waren das.
Ist die Welt eigentlich am Kollapsen? Was war denn so lustig am Open Air? Manchmal schon ein bisschen trist. Open Air aussen ohne die geringste Stimmung und Freude. Eine Episode bleibt mir in Erinnerung, als Mick Jagger einst das Open Air mit seiner Anwesenheit beehrte. Es war sehr heiss. Eine riesige Leinwand bildete Jagger ab und legte ein unappetitliches Detail offen. Auf seinem Kinn wuchs von Minute zu Minute ein riesiger Schweisstropfen, der an Volumen zunahm und – endlich – sich platzend löste. Ziemlich unappetitlich zu sehen.
Untergebracht war ich – nach dem wöchigen Aufenthalt im Kantonsspital, ca. 6 Wochen im Alterszentrum Park. Zu beiden Institutionen lässt sich sehr viel Positives sagen, enorm viel! Die Pflegenden und Ärzte machen einen ausgezeichneten Job, tragen das Herz auf der Zunge, sind freundlich und zugänglich, man fühlt sich sehr wohl. Deshalb meine Idee: ihnen müsste zweimal im Jahr ein Bonus ausbezahlt werden, zweimal Fr. 400.– oder auch weniger, schon ein Zwanzigernötli im Kleiderspund könnte zusätzliche Motivation und Freude bereiten. Eine kleine hochkarätige Jury würde darüber befinden, ohne Mafiabeteiligung natürlich. Für‘s Pflegewesen gäbe das zusätzlichen Schub, zumal die Arbeit, oft im Gegensatz zur Bänkerarbeit, hochverdient ist. Oder? 
Wie Steine, ins Wasser geworfen, würde das Kreise ziehen, die Welt würde garantiert freundlicher! Auch die Geschäfte in der Altstadt und Migros und Coop würden zum Bonusteilen übergehen, weil der Effekt so riesig ist. 
Finanziert würde das Ganze nicht über Steuern und sonstige Abgaben, sondern mittels Crowdfunding! Es gibt genug Leute, die gern spenden würden, einfach nicht an Ausländer. Als ob Ausländer keine tolle Arbeit leisteten! Die Damen aus Eritrea im AH Park sind voll integriert, arbeiten hervorragend und sind hoch angesehen. Geld ist ein wichtiger Verstärker, und es müssen keine riesigen Summen ausbezahlt werden, um die Welt freundlicher zu gestalten. Die Welt würde insgesamt freundlicher, positiver und weniger hässig sein.


Bist du in Eile, mach einen Umweg!


Tschau zäme...



Eugen Benz