Frauenfeld · 09.10.2024
Buchvernissage: «Verurteilt zur Strafe des Schwerts»
Am letzten Donnerstagabend fand im Rathaus Frauenfeld die öffentliche Buchvernissage des Buches «Verurteilt zur Strafe des Schwerts». Todesurteile und Hinrichtungen im Kanton Thurgau 1803 – 1874. in der Reihe Thurgauer Beiträge zur Geschichte 162 (2024) von Romy Günthart (Text) und Roland Iselin (Fotografien) statt. Musikalisch umrahmt wurde der Anlass vom Spiel der Kantonspolizei Thurgau.

Wenn der Historische Verein des Kantons Thurgau jeweils zu Veranstaltungen ins Frauenfelder Rathaus lädt, ist frühzeitiges Kommen angesagt, um noch einen Sitzplatz zu ergattern. So auch an diesem Donnerstagabend, wo der proppenvolle Saal ein erstes Mal in Vibration geriet, als ein Trommelwirbel zum Hinrichtungsparcours einlud: Dramaturgisch gut gemacht, zog das Spiel der Kantonspolizei Thurgau in den Saal, der im Verlaufe des Abends auch zum Gerichtssaal mutierte, mit den Teilnehmenden als Honoratioren in imaginierter schwarzer Robe, die über Leben und Tod zu entscheiden hatten. So wenigstens aktualisierte die Referentin und Buchautorin Romy Günthart das grausige Geschehen, über das sie berichtete.
Mit zum Gruseln trugen die von Roland Iselin stimmig in Szene gesetzten Schauplätze von Verbrechen aus dem 19. Jahrhundert bei, die zu Todesurteilen im Kanton Thurgau geführt hatten. Dass oft schwere Armut, soziale Not, Quälereien, aber auch Hass, Neid und Missgunst im Spiel waren, machten die präsentierten Verhörprotokolle deutlich, wenn auch in den Urteilen kaum je mildernde Umstände geltend gemacht oder auch nur erwähnt wurden. Schon im Einladungstext hatte es vorbereitend geheissen: «Nach gängigem Geschichtsbild gehören Todesurteile und Hinrichtungen in der Schweiz zu den Barbareien des Mittelalters bzw. der Frühen Neuzeit, die spätestens mit der Tötung der ‚letzten Hexe‘, Anna Göldin, 1782 in Glarus vorbei waren. Die Realität ist eine andere.» Und so zeigte die Referentin auf, dass bis weit ins 19. Jahrhundert auch hier Menschen auf öffentlichen Richtplätzen vor grossem Publikum auf dem Schafott enthauptet wurden. Im Kanton Thurgau waren es elf Personen, die so den Tod fanden. Drei weitere wurden zum Tod verurteilt, das Urteil aber nicht vollzogen, sondern in eine Zuchthausstrafe umgewandelt. Alle Verurteilten gehörten zu den sozial Schwächsten. Die Delikte, die ihnen zur Last gelegt wurden, waren hauptsächlich Mord, in einem Fall kam Vergewaltigung dazu, in einem anderen galt der Verdächtige als der Brandstiftung überführt. Da die Forschung zum 19. Jahrhundert noch immer hauptsächlich auf den sogenannten Fortschritt und die Modernität ausgerichtet sei, so die Autorin und Referentin, gehe es ihr und dem Historischen Verein des Kantons Thurgau mit dieser Publikation darum, nicht nur ein wichtiges Kapitel der kantonalen und nationalen Geschichte aufzuarbeiten, das bislang kaum Beachtung fand, sondern auch darum, einen neuen Blick auf bekannte und weniger bekannte Thurgauer (Tat-)Orte zu ermöglichen.
Die letzte Hinrichtung
Wie man dem Buch von Romy Günthart unter vielen anderen spannenden Sachverhalten entnehmen kann, wurde im Kanton Thurgau 1854, also vor exakt 170 Jahren, zum letzten Mal ein Mensch exekutiert: «Am frühen Morgen des 29. November 1854 fand der wegen Raubmords verurteilte Jakob Hungerbühler vor Hunderten von Zuschauern auf dem Schafott beim Galgenholz im Frauenfelder Kurzdorf sein blutiges Ende.» Seine Hinrichtung auf dem Rabenstein, einem gemauerten Podest, das später abgetragen wurde und an dessen Stelle heute ein gepflegter Fussballrasen zum sportlichen Spiel einlädt, sei, so Günthart, ein klassisches Beispiel für das, was man mit «Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen» bezeichne, dass also gleichzeitig Dinge sich ereignen können, die eigentlich verschiedenen Zeitaltern zuzuordnen seien: Während ein mittelalterlich anmutendes Racheritual ausgeführt wurde, war nur ein Jahr zuvor etwa als eine der Umsetzungsoptionen der Epoche der Aufklärung die Kantonsschule in Frauenfeld eingeweiht worden, gab es bereits die erste Telegraphenlinie, nahm die Stadtentwicklung durch die Industrialisierung und den Bau der Eisenbahn neuen Schub auf. Der Hinrichtungszug aber führten den Raubmörder Hungerbühler mit Hunderten von Schaulustigen noch immer den gleichen, seit Jahrhunderten begangenen Weg von der Stadt zum Galgenholz, welches ursprünglich weit von der städtischen Gemeinschaft entfernt gelegen hatte. Nur gab es nun 1854 keine Stadtbefestigung mehr und man querte die Grossbaustelle der neuen Eisenbahn. Ebenso stand es noch immer im Pflichtenheft der Pfarrherren, die armen Sünder im Auftrag der Regierung auf die Richtstätte zu führen und seelsorgerlich zu betreuen. Am Schluss hatten sie dann jeweils vom Schafott herab eine Predigt zu halten zur Belehrung und sittlich-moralischen Besserung auch all der Gaffenden. Dass die abschreckende Wirkung der Todesstrafe aber nicht nur in unserem Kanton nicht gegriffen hatte, weist die Historikerin in ihrem Buch genauso nach, wie sie eine Fülle von spannenden Fällen darstellt. Eine lohnende Lektüre, in deren Verlauf der Kanton Thurgau im Vergleich mit anderen Kantonen einiges besser abschneidet, als man eventuell zu denken geneigt wäre. Aber selber lesen bringt die nötigen Einsichten!
Thomas Schaffner