Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 02.10.2024

Die Frauenfelder Flagge auf dem Mont Blanc: Im Gespräch mit Anatoliy Telbukh

Mit 63 Jahren hat Anatoliy Telbukh den Mont Blanc bestiegen und die Frauenfelder Flagge auf dem höchsten Gipfel Westeuropas als Zeichen des Dankes gehisst. Was den Bergsteiger dazu bewogen hat und welche Herausforderungen der Aufstieg mit sich brachte, erzählt er im Interview.

 

 

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem erfolgreichen Aufstieg auf den Mont Blanc. Dank Ihnen wurde die Frauenfelder Flagge zum ersten Mal in 4809 Meter Höhe gehisst. Was hat Sie dazu motiviert, die Flagge der Stadt Frauenfeld auf den Mont Blanc zu tragen?


Nachdem ich seit drei Jahren in der Schweiz lebe und in die Atmosphäre dieses Landes eingetaucht bin, bin ich noch immer tief beeindruckt von den besonderen Qualitäten der Menschen hier: Freundlichkeit, Fleiss, Hilfsbereitschaft, Gemeinschaftsgefühl und Standhaftigkeit. Das Hissen der Frauenfelder Flagge auf dem Gipfel des Mont Blanc wurde zum Symbol des Dankes an die Einwohnenden dieser Stadt und des Kantons Thurgau für die Hilfe und Unterstützung der Ukrainer während des Krieges. Dies war meine symbolische Art, allen zu danken, die den Ukrainern geholfen haben: von den Mitarbeitenden der Sozialen Dienste bis hin zu den Freiwilligen und allen anderen mitfühlenden Menschen. Ich wollte den Ukrainern zeigen, wie wertvoll diese internationale Unterstützung für uns ist. Die Geste war für mich nicht nur ein Ausdruck des Dankes, sondern auch ein Zeichen meines tiefen Respekts gegenüber den Menschen, die in so schwierigen Zeiten Solidarität gezeigt haben. Ich bin stolz darauf, dies im Namen all derer getan zu haben, die den Schweizern dankbar sind.


Wie haben Sie den Aufstieg erlebt?


Der Aufstieg auf den Mont Blanc war für mich eine ernsthafte Prüfung sowohl in physischer als auch in emotionaler Hinsicht. Es geht nicht nur darum, den Gipfel zu erreichen – es ist eine Reise, die alle Phasen der Vorbereitung und den eigentlichen Aufstieg umfasst. Für mich zählt nicht nur das Endergebnis, sondern jeder Schritt, der zum Ziel führt. Ein Aufstieg erfordert immer Teamarbeit, besonders, wenn man im Seil mit anderen unterwegs ist. Man kann sich nicht nur auf sich selbst verlassen – gegenseitige Hilfe, Unterstützung und Motivation sind für den Aufstieg unerlässlich.


Natürlich war die Müdigkeit ein ständiger Begleiter. In der Höhe muss der Körper mit Sauerstoffmangel klarkommen und jede Bewegung erfordert viel mehr Energie. Doch jeder Schritt näher zum Gipfel brachte auch neue Energie. Der Moment, als wir den Gipfel erreichten und den Sonnenaufgang erlebten, war wirklich unvergesslich. Es war das Gefühl eines Sieges, nicht nur über den Berg, sondern auch über sich selbst.


Was war für Sie der schönste Moment des Aufstiegs?


Die Aussicht vom Gipfel war einfach atemberaubend. Die Berge im Licht der aufgehenden Sonne, die Stille, die nur vom leichten Wind unterbrochen wurde – all das schuf ein Gefühl von Harmonie und Frieden. Dieser Moment war der Höhepunkt unserer monatelangen Vorbereitung, und die Emotionen, die ich dabei erlebte, sind schwer in Worte zu fassen.


Was waren für Sie die Herausforderungen während des Aufstiegs?


Der schwierigste Moment war das nächtliche Aufsteigen: Um 2 Uhr nachts begannen wir den Aufstieg von 3863 Metern (Gouter-Hütte) auf den Gipfel in 4810 Metern Höhe. Den erreichten wir nach 6 Stunden. Danach mussten wir fast 3 Kilometer wieder hinuntersteigen. Insgesamt haben wir diese Strecke in 16 Stunden zurückgelegt, und die körperliche Anstrengung war enorm. Eine der grössten Gefahren war der «Todeskorridor» – ein Abschnitt der Route, wo regelmässig Steinschläge auftreten, insbesondere tagsüber, wenn die Sonne die Hänge erwärmt und Steine zum Fallen bringt. Dieser Korridor ist ein schmaler und steiler Hang, den man in kurzer Zeit überqueren muss, um das Risiko zu minimieren. Wir waren uns bewusst, dass dieser Abschnitt höchste Konzentration, Schnelligkeit und ein wenig Glück erfordert. Jede Verzögerung oder ein Fehler könnten fatale Folgen haben, daher haben wir diesen Teil der Route besonders ernst genommen. Dank der langen Vorbereitung und der Erfahrung unseres Teams konnten wir all diese Herausforderungen meistern, trotz der Gefahren und der körperlichen Erschöpfung.


Wer hat Sie auf dieser Tour begleitet?


Wir sind als Team von vier Personen aufgestiegen, aufgeteilt in zwei Seilschaften. Ich war in einer Seilschaft mit meinem ältesten Sohn Alexander, was für mich besonders wichtig war, da ich lange davon geträumt habe, den Mont Blanc gemeinsam mit ihm zu besteigen. Dieser Moment machte das Erlebnis noch bedeutungsvoller und zu einem unvergesslichen Erlebnis.


In der anderen Seilschaft war mein Freund Gennadi Kopieka, ein erfahrener Bergsteiger, der bereits auf Gipfeln wie dem Everest und K2 stand. Seine Anwesenheit gab uns zusätzliches Vertrauen.


 


Warum haben Sie sich ausgerechnet für den Mont Blanc entschieden?


Der Mont Blanc ist für mich zum Symbol eines Traums geworden, den ich viele Jahre gehegt habe. Im Jahr 2012 sah ich dieses majestätische Massiv zum ersten Mal und wusste sofort, dass ich diesen Gipfel besteigen möchte. Es ist nicht nur eine physische Herausforderung, sondern auch ein Ort, der meine Bestrebungen und meine tiefe Liebe zu den Bergen verkörpert.


Dies war bereits mein vierter Aufstieg auf den Mont Blanc. Zwei der vorherigen Besteigungen scheiterten aufgrund ungünstiger Wetterbedingungen, und wir mussten aus Sicherheitsgründen umkehren. Doch jedes Mal verstärkte dies nur meinen Wunsch, zurückzukehren und es erneut zu versuchen.


Die Berge nehmen einen besonderen Platz in meinem Leben ein. Seit meiner Studienzeit bin ich leidenschaftlich in die Berge verliebt und seit 1979 regelmässig in den Bergen unterwegs. Ich war viele Male im Kaukasus, bin zweimal auf den Elbrus (5642 Meter) gestiegen und habe auch den Altai und den Pamir besucht. Für mich sind die Berge nicht nur ein Sport oder ein Hobby, sondern eine Leidenschaft, die mich mein ganzes Leben begleitet.


Kam es nach dem Aufstieg und Ihrem Post auf Social Media zu Reaktionen aus Frauenfeld?
Ja, ich habe viele herzliche Nachrichten von Einwohnern Frauenfelds erhalten, die ich persönlich kenne und die von meiner Geste berührt waren. Es waren sehr positive Rückmeldungen, die mir zeigten, dass mein Ziel, Dankbarkeit auszudrücken, verstanden und wertgeschätzt wurde. Ich freue mich, dass diese symbolische Geste bei den Menschen Anklang gefunden hat.



Haben Sie nach diesem Erfolg bereits Pläne für weitere Bergtouren?
Ich habe bereits Pläne für neue Gipfel. Ich plane, nächstes Jahr eine Expedition zu organisieren, um drei bekannte Gipfel Europas zu besteigen. Dabei handelt es sich um die Zugspitze (2662 m), den Grossglockner (3798 m) und das Matterhorn (4478 m).  


(sf)