Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 26.09.2024

Finanztechnische Fragen im Frauenfelder Gemeinderat, die herausfordern

 

 

Am letzten Mittwoch tagte der Gemeinderat der Stadt Frauenfeld und befasste sich unter anderem mit einer finanzpolitischen Vorlage, die in ihrer Abstraktheit einiges an Einsatz aller Beteiligten erforderte, grossmehrheitlich angenommen wurde und schliesslich dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wird. Man darf gespannt sein, wie es den Verantwortlichen gelingen wird, die Vorlage dem Stimmvolk verständlich darzulegen. In seiner Abschiedsrede zum Ausscheiden aus der städtischen Legislative fand Stefan Leuthold Worte der Würdigung der Arbeit des Milizparlaments, denen man ihrer Grundsätzlichkeit wegen breites Gehör wünscht (siehe Kasten 1). Ebenso grundsätzlich sind die vom Ratspräsidenten Hanspeter Gubler kurz erwähnten Ausführungen des Stadtrates in einer Beantwortung ­einer einfachen Anfrage zweier Ratsmitglieder, was die Bedeutung der Pressefreiheit betrifft. (siehe Kasten 2). Viel Zeit nahm auch die Fragerunde in Anspruch, welche diesmal jung und alt vereinte und den zuständigen Stadtratsmitgliedern einiges an Konzentration und Stehvermögen abverlangte. Aus Platzgründen werden wir nächste Woche Auszüge daraus publizieren.


 


Neubewertungsreserven


Einiges zu reden gab sie schon, die stadträtliche Botschaft Nr. 19 «Verwendung der Neubewertungsreserven im Umfang von 36.587 Mio. Franken». Im Namen der Geschäftsprüfungskommission «Finanzen und Administration» erinnerte Stefan Vontobel, FDP, daran, dass in der Sitzung vom 2. Juli 2024 aufgrund der Komplexität und der sehr kurzfristigen Zustellung der Botschaft der Entscheid gefällt worden sei, eine zweite Lesung für die Beschlussfassung durchzuführen. Dies trotz des vorliegenden zeitlich engen Terminplan, dass bis zum Rechnungsabschluss 2024 ein Volksentscheid über die Verwendung der Neubewertungsreserven vorliegen müsse. In der Eintretensdebatte habe der Stadtpräsident darüber informiert, dass aufgrund der Anpassung der Regierungsrätlichen Verordnung per 1. Mai 2023 bei den Neubewertungsreserven aus HRM2 (Harmonisierte Rechnungsmodell 2) zwei Optionen vorlägen. Entweder die Zuführung in den Bilanzüberschuss oder wie in der Botschaft vorgeschlagen, eine Umwidmung zu Gunsten von Vorfinanzierungen für zukünftige Investitionsvorhaben vorzunehmen. Der Fokus bei den zu bildenden Vorfinanzierungen liege in vier strategisch wichtigen Investitionsbereichen. Diese Umwidmung führe per se zu keinem Entscheid, sondern sei einzig ein Bekenntnis und politischer Wegweiser für die Investitionsplanung. Vontobel sagte: «Dabei wurde klar festgehalten, dass bei einem Entscheid zur Vorfinanzierung jeweils eine separate Botschaft für jedes Projekt vorzubereiten ist, dies unter Einhaltung der Finanzkompetenzen und den nötigen Entscheidungen durch die zuständigen Gremien.» Mit einer Umwidmung, das müsse ganz klar festgehalten werden, würden der Stadt keine liquiden Mittel zugeführt werden, da es sich um Buchgewinne handle. Diese Ausführungen waren bei den Fraktionen grossmehrheitlich unbestritten, was sich auch im Abstimmungsverhalten zeigte: So folgte der Rat in seiner Schlussabstimmung der Beschlussfassung der GPK fast deckungsgleich. GPK und Rat nahmen die vier Anträge wie folgt an:


 


1. Der Verwendung der Neubewertungsreserven aus Liegenschaften des Finanzvermögens im Umfang von 36’587’436 Franken zur Äufnung der Vorfinanzierung «Infrastrukturbauten Gesamtkonzept Freizeit- und Sportanlagen» in der Höhe von 2.5 Mio. Franken wird zugestimmt. GPK einstimmig mit 7 Ja. Rat: 36 ja zu null


 


2. Der Verwendung der Neubewertungsreserven aus Liegenschaften des Finanzvermögens im Umfang von 36’587’436 Franken zur Äufnung der Vorfinanzierung «Sanierung/Neubau Casino; Stadtsaal in Stadtkaserne» in der Höhe von 7 Mio. Franken wird zugestimmt. GPK einstimmig mit 7 Ja. Rat: 35 ja, eine Enthaltung


 


3. Der Verwendung der Neubewertungsreserven aus Liegenschaften des Finanzvermögens im Umfang von 36’587’436 Franken zur Äufnung der Vorfinanzierung «Aussiedlung Werkhof/Busdepot» in der Höhe von 12 Mio. Franken wird zugestimmt: GPK 6 Ja, eine Enthaltung. Rat: 35 ja, eine Enthaltung.


 


4. Der Verwendung der Neubewertungsreserven aus Liegenschaften des Finanzvermögens im Umfang von 36’587’436 Franken zur Äufnung der Vorfinanzierung «Sanierung/Neubau Alterszentrum Park» in der Höhe von 15 Mio. Franken wird zugestimmt: GPK 6 Ja, eine Enthaltung. Rat: 34 Ja, eine Neinstimme, eine Enthaltung.


Festgehalten wurde auch, dass diese Beschlüsse der obligatorischen Volksabstimmung gemäss Art. 8 Abs. 1 Ziff. 5 GO unterstehen.


Auf die Voten der Fraktionen können hier wie immer nur Schlaglichter geworfen werden. Wer den ausführlichen Wortlaut lesen möchte, sei auf das Wortprotokoll verwiesen, welches zu einem späteren Zeitpunkt auf der Homepage der Stadt aufgeschaltet wird.


Für die SP-Fraktion bedauerte Pascal Frey, dass man hier leider kein zusätzliches Geld habe, mit dem man Ausgaben tätigen könne: «Aber immerhin ein Buchgewinn, der uns in Zukunft bei den Abschreibungen für über 30 Jahre um je eine Million pro Jahr entlastet.» Man finde den Verwendungszweck als solchen gut und unterstütze dies. «Ob und wann die Liegenschaften verkauft werden, ist noch offen und wir sehen die Verwendung der Gelder nicht als Grund, möglichst bald den Gewinn tatsächlich zu realisieren, auch wenn dadurch entsprechend Fremdkapital benötigt wird.» Im Grossen und Ganzen sei die SP-Fraktion mit der Verteilung der Beträge einverstanden. Diese bildeten auch ab, was als nächstes anstehe. Wie später auch die anderen Fraktionssprechenden betonte Frey: «Wir möchten, wie dies auch in der Botschaft steht, klar festhalten, dass die jetzige Zusage zu den Vorfinanzierungen keine zwingende Zusage an die einzelnen Projekte ist.»


 


Anspruchsvolle Vorlage


Elio Bohner gab für die Fraktion CH/Grüne/GLP zu Protokoll: «Wir haben es heute mit einer sehr technischen Vorlage zu tun - wohl die technischste seit ich im Rat bin. Wie in der GPK haben wir auch in der Fraktion zweimal dazu beraten und es gab viele Fragezeichen, dazu, was eigentlich geschehen soll und was die Auswirkung dazu ist.» Die Vorfinanzierung befürworte man nach wie vor an sich nicht, ziehe dies aber dem «Scheinkapital” klar vor. So ungern er es sage, aber man präferiere ein leicht geglättetes Rechnungsergebnis und somit wolle man dem Vorschlag des Stadtrates prinzipiell folgen. «Dies würde bedeuten, dass die Rechnung in den nächsten 30-40 Jahren jeweils ca. um 1 Million Franken besser wäre, als dies operativ der Fall ist. Unter dem Vorbehalt, versteht sich, dass nachfolgend auch die Projekte an sich bewilligt werden.» Diese müssten einzeln und mit dedizierter Botschaft in einer separaten Abstimmung bewilligt werden. Gerne hätte man noch einen stärkeren Fokus auf die Energiewende und das Wohnen und Leben in Frauenfeld gesehen. Und: Es wäre allerdings begrüssenswert gewesen, wenn die Botschaft diese Komplexität noch etwas besser heruntergebrochen hätte.


 


Projekte machen für FDP Sinn


Claudio Bernold dankte dem Stadtrat im Namen der Fraktion FDP für die ausführliche Botschaft, die aufzeige, wie er die mit den in den Jahren 2015 bis 2019 gebildeten Neubewertungsreserven des Finanzvermögens nutzen möchte. Die FDP sei grundsätzlich eher restriktiv bei der Bildung von Vorfinanzierungen, das habe sie bereits mehrere Male auch öffentlich kundgetan. Eine Vorfinanzierung führe zu Begehrlichkeiten und wecke eine Anspruchshaltung. Auch könnten die Mittel bei einer Fehlplanung nicht für andere Projekte umgenutzt werden.


Die Auswahl der Projekte mache aber Sinn: «Es sind alles Projekte, welche in naher Zukunft anfallen und den Stadthaushalt und den Steuerzahler finanziell belasten werden.» Man hätte aber begrüsst, wenn beim Projekt «Infrastrukturbauten Gesamtkonzept Freizeit- und Sportanlagen» konkret «Sanierung der Sportanlage kleine Allmend» als Projektname gestanden hätte. Bei den anderen Projekten sei bereits im Projekttitel klar, was gemeint sei.


 


Abschreibungen glätten


Beda Stähelin gab im Namen der Fraktion Die Mitte/EVP zu bedenken, dass eine Aufblähung des Bilanzüberschusses, der nur über Defizite abgebaut werden könne und das wiederum nur soweit es die Vorgaben zum Haushaltsgleichgewicht zuliessen, Frauenfeld wenig bringe. «Demgegenüber können mit der vorgesehenen Vorfinanzierung die künftigen Abschreibungen geglättet und die Erfolgsrechnung so entlastet werden.» Das mache Sinn. Es solle aber mit der Zustimmung kein «Stimmungsbild» vermittelt werden, wie sich das der Stadtrat gemäss Botschaft erhoffe. «Das vorliegende Geschäft ist unserer Meinung nach nicht der Ort, um über die vier erwähnten Investitionsvorhaben zu diskutieren. Dafür fehlen aktuell schlicht und einfach noch die nötigen Informationen.»


Wenn man der Vorfinanzierung zustimme, stehe deren Verwendung unter dem uneingeschränkten Vorbehalt der Realisierung der betreffenden Projekte. Und dazu sage man heute weder ja noch nein: «Wir sagen nur Ja zur Nutzung des finanzpolitischen Instruments der Vorfinanzierung im Sinne von § 63 Abs. 4 der Verordnung über das Rechnungswesen der Gemeinden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.»


René Gubler gab für die SVP-EDU-Fraktion zum Ausdruck, dass es für sie etwas schwer verständlich sei, dass man eine Vorfinanzierung äufnen könne, ohne dass Geld vorhanden sei. Dies sei aber dem Umstand geschuldet, dass mit der Einführung von HRM2 eine Neubewertungsreserve entstand, welche nur noch bis Ende 2024 in verschiedene Vorfinanzierungen umgewidmet werden könne. «Dass der Stadtrat nun hinging und sich nach Projekten umgesehen hat, welche dringend und zwingend sind, können wir verstehen und ist nachvollziehbar. Wie jedoch die 36.5 Millionen Franken auf die vier Projekte aufgeteilt wurden, ist eher ein Blick in die Kristallkugel als harten Fakten geschuldet und wird von uns kritisch betrachtet.» Wenn man in der Botschaft lese, der Stadtrat erhoffe sich, mitunter auch ein erstes Stimmungsbild zu den ausgewählten Investitionsprojekten zu erhalten, so sei dies durchaus berechtigt, aber wenig aussagekräftig, da die Zeit für eine sachliche Diskussion über die besagten Projekte fehle. Und doch sei die Fraktion überzeugt, dass dies die richtigen Projekte seien und der Stadtrat unterstützt werden solle in den Bestrebungen, das Haushaltsgleichgewicht langfristig einhalten zu können. Thomas Schaffner


 


 


«Wer sich für das Gemeinwohl einsetzt, braucht ein dickes Fell»


Stefan Leuthold, Präsident GLP Thurgau und Vorstandsmitglied GLP Schweiz und Kantonsrat, verabschiedete sich mit einer staatspolitisch wertvollen Würdigung des Milizsystems von seinen Ratskolleginnen und -kollegen des Stadtparlaments. Seine eingangs genannten Ämter wird er weiterhin ausüben. Da seine Würdigung des Milizparlaments und der zumeist nur Teilzeit beschäftigen Stadträtinnen und Stadträte alle Bürgerinnen und Bürger ermutigen könnte, deren Arbeit noch mehr Wertschätzung entgegenzubringen und sich vielleicht selber einmal zur Verfügung zu stellen, zum Wohl der Stadt Frauenfeld sich einzusetzen, seien Auszüge aus seiner Rede abgedruckt:


«Während wir hier sitzen, läuft im ersten Schweizer Fernsehen grad die «Rundschau», auf SRF2 spielt Brügge KV gegen Borussia Dortmund um die UEFA Champions League und Deutschland sucht auf RTL den Superstar. Im Cinema Luna läuft «das weisse Band», eine Geschichte, welche im Norden Deutschlands zur Zeit vor dem Ersten Weltkrieg spielt, und Frauenfeld tritt im Eishockey gegen Arosa an. Es gäbe viele weitere Möglichkeiten, wie man am heutigen Mittwoch Abend seine Freizeit geniessen kann.


Geschätzte Kolleginnen und Kollegen: Sie haben keine dieser Optionen gewählt. Sie verbringen den Abend hier im Rathaus, an der Sitzung des Gemeinderates. Sie sind alle Mitglied einer Fraktion, welche sich zur Vorberatung der Geschäfte trifft. Im Rat halten Sie Voten, welche sie in Ihrer Freizeit geschrieben haben. Einige von Ihnen haben zusätzlich Einsitz in einer oder mehreren Kommissionen. Und weil fast alle von Ihnen einer politischen Partei angehören oder angehörten, treffen Sie sich mit Ihren Kolleginnen und Kollegen, um Ihre Strategien und Ideen zum Wohle der Thurgauer Kantonshauptstadt zu diskutieren. Einen zusätzlichen Effort leisten Sie dann nochmals für Abstimmungs- und Wahlkämpfe. Dies alles tun Sie in Ihrer Freizeit, häufig ohne finanzielles Entgelt, getrieben von innerer Motivation, zum Wohle der rund 26 500 Einwohnerinnen und Einwohner. Als einer von 26 500 danke ich Ihnen dafür recht herzlich.


Geschätzte Vertreterinnen und Vertreter des Stadtrates: Auch beim Einkaufen oder beim Badi-Besuch sind Sie als öffentliche Personen unterwegs, stehen permanent im «Schaufenster» und werden auch in Ihrer Freizeit wegen Anliegen aller Art ungeniert angesprochen. Und selbstverständlich wissen alle Aussenstehenden besser als Sie, was wie zu tun wäre. Ständige Kritik an Ihrer Arbeit gehört zum Job, auch wenn Sie am Anfang Ihrer Amtszeit zuerst einmal die Altlasten ihrer Vorgänger:innen ausbaden müssen. Sie brauchen ein dickes Fell und leisten weit mehr als die Stellenprozente, für welche Sie entlöhnt werden. Deshalb auch Ihnen allen einen herzlichen Dank.»


In einem persönlichen Mail an die Redaktion hatte der GLP-Präsident Stefan Leuthold vor seiner letzten Sitzung im Gemeinderat auch die Arbeit der Frauenfelder Woche wie folgt verdankt: «An dieser Stelle vielen Dank für die geschätzte Berichterstattung über die Sitzungen des Frauenfelder Gemeinderates.» (ts)


 


 


Stadtrat erteilt medienpolitischen Nachhilfeunterricht


Auszug der stadträtlichen Beantwortung der Einfachen Anfrage betreffend «Amtliche Publikationsorgane: Unverzichtbar oder überflüssig» von Gemeinderätinnen Anita Bernhard-Ott und Nathalie Fäh.


Die Anfrage, ob die Stadt bei ihrem amtlichen Publikationsorgan «Frauenfelder Woche» auch auf die Inhalte der Berichterstattung aus dem Gemeinderat Einfluss nehmen könne, weist der Stadtrat mit an Deutlichkeit nicht zu überbietender Schärfe zurück: «Der Stadtrat [wolle] keinerlei Einfluss auf die journalistische Tätigkeit der Redaktorinnen und Redaktoren nehmen. Dies gilt im Übrigen auch für alle anderen Medien. Es ist richtig und geradezu von essenzieller Bedeutung, dass Medienschaffende unabhängig über die Geschehnisse der Stadt und insbesondere die politische Debatte berichten können. In welcher Form und wie ausführlich sie das tun, ist ganz alleine den jeweiligen Redaktionen überlassen. Es wäre fatal, wenn sich Exekutiven in die journalistische Arbeit von Medienschaffenden einmischen und in welcher Form auch immer die Inhalte mitbestimmen können. Dies würde der Pressefreiheit diametral widersprechen. Dies gilt auch für die Berichterstattung aus dem Gemeinderat. Ob und in welcher Form Medien über eine Ratsdebatte berichten, entscheidet einzig die jeweilige Redaktion. Interessierte Einwohnende haben nebst der journalistischen Berichterstattung in den Medien die Möglichkeit, die gesamte Ratsdebatte im Wortprotokoll auf der Website der Stadt nachzulesen oder selber während der Gemeinderatssitzung anwesend zu sein.»


Eine aus zu respektierenden Gründen nicht namentlich genannt sein wollende politisch interessierte Frauenfelderin bezeichnete in einem Gespräch mit der Frauenfelder Woche nach der Publikation der Antwort des Stadtrats auf der Homepage der Stadt diese gar als schallende Ohrfeige an die Adresse der beiden Ratsmitglieder, die die Anfrage gestellt hatten.


Die beiden hätten wohl Frauenfeld mit diktatorisch geführten Ländern verwechselt, wo der Staat in die Freiheit der Medien einzugreifen pflegt. Solche Anflüge totalitärer Gesinnung hätte sie hier im beschaulichen Frauenfeld zuletzt erwartet, und schon gar nicht von besagter Seite her. Gut, gebe es in der Regierung noch Leute mit einem guten demokratiepolitischen Bildungsrucksack. (ts)