Frauenfeld · 10.07.2024
Besuch auf der Baustelle
Premiere des Kreuzlinger «See-Burgtheaters» – mit Frauenfelder Leitung
Von der Frauenfelder Theaterwerkstatt zum Kreuzlinger See-Burgtheater: Das neue Leitungsteam des etablierten Freilufttheaters am Bodensee ist in der Kantonshauptstadt bestens bekannt. Rahel Wohlgensinger, ihr Mann Simon Engeli und Giuseppe Spina haben die Theaterwerkstatt Gleis 5 aufgebaut und bekannt gemacht. Weht auf der Seebühne jetzt ein frischer Wind? Die «Frauenfelder Woche» durfte Eindrücke an einer Probe von «Prometheus» sammeln.
Handfest geht es zu bei den Vorbereitungen zum neuen Stück. Da werden Löcher mit einem Bagger ausgehoben. Rahel Wohlgensinger steuert das schwere Gerät. Ein Bauarbeiter hat ihr beigebracht, damit umzugehen. «Irgendwie auch nichts anderes als Puppenspielen», spielt sie ihre Leistung lachend herunter. Regisseur Simon Engeli trägt derweil Eimer mit Schutt ums Eck, in karierten Shorts, stabile Arbeitsschuhe an den Füssen. «Bitte, die Hose darf nicht aufs Foto», ruft er lachend. Wirklich ernst meint er es nicht. Ein ernsthaft besorgtes Gesicht hingegen macht Giuseppe Spina. Denn er hat mit anderen Problemen zu kämpfen: Der Flaschenzug läuft nicht, wie er soll. Ensemble-Mitglied Moira Albertalli bringt das Ersatzteil, sie montieren es. Plötzlich hängt Schauspieler Georg Melich drei Meter in Luft. Umgehend läuft’s wieder!
Die Sonne strahlt an diesem Tag hochsommerlich vom Himmel, sodass einige Schauspielerinnen und Schauspieler vorher baden gegangen sind. Nach und nach trudeln sie auf dem Set ein – das im Grunde eine Baustelle ist. Absichtlich. Hier wird eine Plane weggezogen, dort ein Werkzeugkasten angeschleppt und mit Elan auf einem flugs provisorisch aufgebauten Arbeitstisch platziert. Alle müssen schmunzeln, als eine freche Krähe versucht, eine Plastikblume von der Requisite zu stehen. Simon Engeli rettet die Attrappe vor dem Vogel. «Sonst gewöhnt die sich dran und stiehlt hier jeden Tag», erklärt Rahel Wohlgensinger grinsend.
Harmonische Zusammenarbeit
Das neue Leitungstrio im See-Burgtheater – Simon Engeli, Rahel Wohlgensinger und Giuseppe Spina – ist gut gelaunt. Die Atmosphäre am Set wirkt nicht nur familiär, sie ist es auch: Wohlgensinger und Engeli sind verheiratet, sie haben drei Kinder, die jüngste Tochter ist ebenfalls vor Ort, geniesst die Natur im See-Burgpark und schaut dem Team interessiert beim Arbeiten über die Schulter, wenn sie nicht gerade Hausarbeiten macht. Die spürbare Harmonie zwischen den Dreien kommt nicht von ungefähr: Die Theaterleute arbeiten seit Jahren zusammen. In Frauenfeld sind sie bekannt, weil sie die Theaterwerkstatt vor 12 Jahren gegründet und bekannt gemacht haben. Ihre kleinen, aber feinen Inszenierungen sind aus dem lokalen Kulturleben nicht mehr wegzudenken.
Grosse Fussstapfen
Das See-Burgtheater ist eine grössere Nummer. Die Anfänge des jährlichen Ad-hoc-Theaters reichen bis ins Jahr 1990 zurück. Ein kulturelles Kreuzlinger Aushängeschild mit grosser Anziehungskraft. Seine Gründer Astrid Keller und Leopold Huber sind Legenden (siehe Kasten). Wer jetzt denkt, dass diese grossen Fussstapfen das neue Leitungsteam sonderlich nervös machen, der sieht sich getäuscht. Ehrfurcht ist natürlich vorhanden, das wird im Gespräch mit der «Frauenfelder Woche» klar. Bewunderung vor dem, was ihre Vorgänger geleistet haben. Und sie sehen die neue Aufgabe als grosse Herausforderung. Aber Gelassenheit, die aus jahrelanger Routine im Inszenieren, im Spielen und vor allem in der Gewohnheit resultiert, selbst mit anzupacken – die ist permanent greifbar. Im Schatten vor der mehr als 300 Sitzplätze fassenden Bühne macht sich das Trio auf Plastikstühlen bequem und erzählt, wie es dazu kam.
Zusammengearbeitet haben die Neuen mit dem alten Duo schon öfter. «Ich bekam mein erstes professionelles Engagement im grösseren Rahmen am See-Burgtheater 2005, das war ‹Romeo & Julia›, unvergesslich», erinnert sich Simon Engeli. Für ihn eine neue Erfahrung: Es gab ein richtiges Casting. Und ihm, dem unerfahrenen Nobody, gab Leopold Huber eine Rolle. «Ich habe Leopold und Astrid sofort als leidenschaftliche Theaterleute kennengelernt, als Macher. Das hat uns verbunden», lobt der Schauspieler, der sich damals in der «freien» Szene verortet sah – im Gegensatz zu etablierten, grossen Namen. Giuseppe Spina, der seinen Einstand im See-Burgtheater später hatte, dafür gleich mit einer Hauptrolle 2012 im «Black Rider», spricht von grossen Vorbildern: «Sie haben es geschafft, ein prominentes, regelmässiges Theater ohne festes Haus zu etablieren. Das Ganze vor massig Publikum, trotzdem frei, immer anders.» Auch Rahel Wohlgensinger fühlte sich bei ihrem ersten Engagement gleich willkommen und gut aufgehoben. Sie spielte eine kleine Rolle, ihre älteste Tochter eine Statistenrolle. «Aber durch Simon habe ich viel von hinter den Kulissen mitbekommen und die Arbeit am See-Burgtheater schätzen gelernt», so die bekannte Puppenspielerin. Alle drei sind sich einig: Was sie am See-Burgtheater gesehen haben, war Inspiration für ihre Theaterwerkstatt.
Sie teilen sich die Aufgaben
Dass die «Neuen» frischen Wind ins See-Burgtheater bringen werden, versteht sich von selbst. Allein, dass jetzt Puppenspiel eine Konstante werden könnte, klingt vielversprechend. Was wollen sie ändern, was soll bleiben? In einem Interview hatten sich die Beteiligten mal auf den Begriff «anspruchsvolles Volkstheater» geeinigt. Also Theater mit Niveau, das auch Leute auf die Tribüne zieht, die sonst nicht ins Theater gehen würden. Frisch, einladend, auf keinen Fall elitär. «Das ist auch etwas, das wir mit der Theaterwerkstatt geschafft haben», antwortet Giuseppe Spina. «Jetzt wird halt mit der grösseren Kelle angerührt.» Was er so lapidar umschreibt, ist indes schon rein logistisch ein umfangreiches Unterfangen. Denn die Theaterwerkstatt ist eine kleinere Bühne, hat aber ein festes Jahresprogramm. Dass jetzt ein Grossprojekt jeden Sommer dazu kommt, muss man erst mal stemmen. «Das Gute ist, wir sind ein eingespieltes Team», fährt Spina fort. «Und wir spüren, was geht oder was nicht.» Rollentausch, Aufgabenteilung sind weitere Qualitäten, die das Trio mitbringt. In diesem Jahr fungiert Simon Keller als Autor und Regisseur. Das kann sich nächstes Jahr schon wieder ändern. Giuseppe Spina hat vor zwei Jahren «Lysistrata – Streik der Frauen» am See-Burgtheater inszeniert – es war Teil des wohlüberlegten, Schritt für Schritt erfolgenden Abgangs von Leopold Huber und Astrid Keller – und die Komödie entwickelte sich zum Publikumserfolg. Das beweist: Im Grunde kann hier jeder alles. «Und dass wir nah zusammenwohnen und uns jederzeit schnell treffen und absprechen können, erleichtert die Organisation zudem», ergänzt Rahel Wohlgensinger. Für Giuseppe Spina ist es gar eine richtiggehend «helvetische» Arbeitsweise. «Wir suchen gemeinsam nach Lösungen.» Es muss in der Vorbereitung nicht immer jeder oder jede da sein – aber man habe die Gewissheit, sich in der heissen Phase auf jedes Mitglied verlassen zu können.
Für das Publikum wird es auf jeden Fall ganz spannend werden, ein versatiles Leitungsteam am Werk zu sehen. Und wer weiss: Vielleicht ist das die Zukunft des Theaters? Das Kreuzlinger See-Burgtheater macht es in der Provinz vor. Stefan Böker
Das See-Burgtheater spielt vom 11. Juli bis zum 7. August – und das bei jeder Witterung, ausser es stürmt sehr stark oder regnet wie aus Giesskannen. Die Zuschauertribüne ist gedeckt. Ab 18 Uhr Einlass und Bewirtung. Das Stück fängt um 20.30 an und geht bis ca. 22.30 Uhr. Reservierte Karten können ab 18 Uhr an der Abendkasse abgeholt werden, spätestens jedoch um 20 Uhr.
www.see-burgtheater.ch
Zum Stück
Das Publikum darf sich mit «Prometheus» auf eine der bekanntesten Sagen der griechischen Mythologie freuen. Bildgewaltig inszeniert: Erstmals mit Puppenspiel auf der Bühne – nicht nur die Ziege Amalthea tritt auf, auch ein Titan, mit Seilen und Stöcken von sieben Menschen gelenkt – sorgt für Aufsehen. Dazu kommt flammende Pyrotechnik, mitreissende Live-Musik und treffender Humor. Regisseuer Simon Engeli entmachtet und ermächtigt auf der Bühne Götter. Damit will er die Dynamik von Revolutionen charakterisieren: Denn oft schlage die Machtgier ihre Krallen in die Hoffnung, dass nun alles besser wird – aus ehemals charismatischen Aktivisten würde die nächste Riege autokratischer Herrscher, so der Pressetext zum Stück. In der Figur des Prometheus sieht der Regisseur dabei einen Hoffnungsträger, der sich auch im Angesicht roher Gewalt die Menschlichkeit bewahrt.
Buchveröffentlichung
Wie passt eine ganze Ära zwischen zwei Buchdeckel? Astrid Keller und Leopold Huber, die scheidenden Intendanten des See-Burgtheaters, haben sich dieser Herausforderung gestellt und lassen in «Wir spielen immer …» auf 176 Seiten 34 Jahre Theatergeschichte Revue passieren. Beim Schmökern der bebilderten Anekdoten, Grussworte, Zitate und Erzählungen werden treue Besucherinnen und Besucher sowie Mitarbeitende des Kreuzlinger Kulttheaters garantiert nostalgisch. Und wer das See-Burgtheater erst neu entdeckt hat, wird staunen wie «frisch, frech, fröhlich und frei» (Zitat René Munz, ehemaliger Thurgauer Kulturamtschef) die Inszenierungen von Beginn an waren. Das Buch ist ab der Premiere von «Prometheus» am 11. Juli 2024 im Buchhandel erhältlich, ausserdem während der Aufführungszeit an der Kasse des See-Burgtheaters. Ab 19. Juni vorbestellbar über die Mail-Adresse: info@see-burgtheater.ch. Wer vorbestellt, erhält auf Wunsch ein signiertes Exemplar.