Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 03.07.2024

«Der Pioniergeist ist enorm!»

Einzug in die Stadtkaserne

Eine neue Phase in der Belebung der Stadtkaserne hat begonnen. Am Montag hat die Projektsteuerung beschlossen, welche sogenannten «Pioniere» als Erstes in die Stadtkaserne einziehen dürfen. Doch bevor tatsächlich Leben einkehrt in dieser «Stadt in der Stadt», dauert es noch ein Weilchen. Als Einzugstermin ist der 1. Oktober geplant.

 

 

140 Bewerbungen gab es. «Das ist enorm», findet Gesamtprojektentwickler Marco Wehrli. «Vor allem dafür, dass wir bisher nur lokal und regional für die Stadtkaserne geworben haben.» Sein kleines Büro auf dem 14’000 Quadratmeter grossen Areal ist provisorisch mit einem Papierzettel angeschrieben. Bildschirme stehen auf den Tischen, Pläne der Grundrisse hängen an den Wänden. Für die Öffentlichkeit besteht seit 19. Juni die Möglichkeit, sich gratis in den ehemaligen Armeegebäuden umzuschauen (Interessierte können Tickets bis 10. August gratis via www.regiofrauenfeld.ch buchen). Für die «Frauenfelder Woche» gab es eine exklusive Führung durch die Kaserne. Wehrli holt seinen Schlüsselbund aus der Tasche und schliesst die erste Tür auf.


 


Im Erdgeschoss geht’s los


Das Erdgeschoss der ehemaligen Stallungen soll den Anfang machen bei der Belebung. Die Vielfalt der angebotenen Räume ist enorm. Von klein bis gross ist alles dabei. Die einen glänzen frisch gebohnert – ehemalige Schulungsräume des Militärs, hell, freundlich. Das Mobiliar kann übernommen werden. Marco Wehrli weiss, wie begehrt solche Möbel bei Vintage-Fans sind. «Was nicht benutzt wird, könnte in Zukunft auch auf einem Stadtkaserne-Flohmarkt verkauft werden», meint er. Es gibt Räume mit ausgetretenem Holzfussboden. Wunderschön. Oder einen mit Betonboden, da stehen noch die alten Regale der Armee drin. Ein Raum zur Aussenwand der Nordstallung hat nicht mal eine Heizung. Die Oberfenster sind einzige Lichtspender, aber derzeit mit Brettern vernagelt, weil Vandalen Scheiben eingeschmissen haben. «Selbst für diesen Raum gab es mehrere Interessenten», freut sich Projektentwickler Wehrli über die grosse Nachfrage.


Eine Vorauswahl aus 25 infrage kommenden Pionieren ist bereits durch die Projektgruppe mit Marco Wehrli und den Projektausschuss getroffen worden, dem auch Vertreterinnen von Vereinen, Interessengruppe und Parteien angehören. Am Montag hat Wehrli diese Vorauswahl der Projektsteuerung übergeben. Die finale Entscheidung trafen Stadtpräsident Anders Stokholm, Stadträtin Andrea Hofmann-Kolb und Stadtschreiberin Bettina Beck zusammen mit Robert Scherzinger, Leiter des Amts für Amt für Hochbau und Stadtplanung sowie Finanzchef Reto Angehrn. Diese Projektsteuerung bestimmte, wer in die ersten14 verfügbaren Räume im Erdgeschoss einziehen darf. «In einem nächsten Schritt informieren wir alle 25 Bewerberinnen und Bewerber», erklärt Wehrli das weitere Vorgehen. «Dann finden weitere Gespräche statt.»


Über das weitere Vorgehen wird die Stadt nach den Sommerferien informieren. Es geht also voran mit der Stadtkaserne.


 


Mehr als ein Job


Und woran Projektentwickler Wehrli keinen Zweifel lässt: Für ihn ist dieses Projekt, diese unglaubliche Chance für Frauenfeld, mehr als nur ein Job. «Ich bin Frauenfelder», sagt er. «Ich bin hier aufgewachsen. Meine Kinder gehen hier zur Schule.» Die Vielfalt der eingegangenen Bewerbungen, der Pioniergeist, der hier herrsche, begeistern ihn enorm. «Unter den Bewerbungen sind wirklich inspirierende Ideen.» Die grosse Nachfrage beweise zudem, dass Bedarf nach freien Räumlichkeiten wie diesen besteht. Auf dem grossen Innenhof der Kaserne stehend, kann man seine Freude über die Aufbruchstimmung und die Möglichkeiten, die hier bestehen, nur teilen. Der Kirchturm der Stadtkirche blickt stolz auf die Kaserne herunter, die Balkone der Altstadthäuser bilden eine malerische Kulisse – und ein Rundgang verstärkt das Gefühl des riesigen Potenzials nur noch, das hier besteht.


 


Freiheit bei der Gestaltung


Die ersten 14 Räume werden vermietet, so wie sie sind. Sie werden nicht verschönert, lediglich den geltenden Bestimmungen angepasst. Darum dauert es noch bis Oktober, bevor die ersten Mieterinnen und Mieter einziehen können. Ein wichtiges Thema ist der Brandschutz, entsprechende Türen müssen noch installiert werden, und ähnliche Arbeiten, so Wehrli. «Dass Asbest unter dem Dach ist, wussten wir», dementiert er Medienberichte, die etwas anderes angedeutet haben. Im Grunde können die Pioniere ihre Räume dann gestalten, wie sie wollen. Lohnen muss sich der Umbau halt. Bis Ende 2026 läuft diese erste Zwischennutzungsphase. Verlängern ist eine Option. Parallel dazu werden die Räume in den Obergeschossen und die im Hauptgebäude fitgemacht. In den Decken sind auffällige, viereckige Löcher zu sehen. Die hat man aufgeschnitten, um die Substanz zu prüfen.


Weiter geht’s zur Doppelreithalle. Marco Wehrli weist auf den Charme der Halle hin, ihr Charisma, die Patina. Die Doppelreithalle könnte als Herzstück des Geländes bezeichnet werden. Feiern mit bis zu 300 Personen sind hier erlaubt. Auch hierfür gab es bereits zahlreiche Bewerbungen, ohne dass die Verantwortlichen das Angebot gross beworben hätten, freut sich der Projektentwickler. Es seien bereits diverse Termine fürs kommende Jahr reserviert worden.


Für Marco Wehrli ist die Entwicklung der Stadtkaserne eine Herausforderung. «Die Arbeit ist intensiv.» Viel Zeit verwende er für Kommunikation. Immer wieder muss er über den Stand der Dinge informieren. Denn Interesse an der Stadtkaserne zeigen viele Seiten. Dass es auch kritische Stimmen zur Stadtkaserne gibt (siehe Kasten), dass die Menschen in Frauenfeld genau hinschauen, was dort passiert, verwundert ihn nicht. «Es wäre eher seltsam, wenn das nicht so wäre», sagt er angesichts der Dimension des Projekts. Beim Verlassen des Innenhofs geht die Schranke automatisch nach oben – und Marco Wehrli begrüsst wenig später die nächste Gruppe, einen Verein, für eine weitere Führung.  


Stefan Böker