Frauenfeld · 28.02.2024
Projekt: Der Ittinger Sturm «1524 Stürmische Zeiten»
Perspektiven eines Aufstandes unter der Lupe
Im Sommer jährt sich das historische Ereignis des Ittinger Sturms (auch Klostersturm genannt) zum 500. Mal. Die Fehde zu Beginn der Reformationszeit war ein Vorbote der religiösen, politischen und sozialen Unruhen. Ein Aufstand von verzweifelten Bauern und Bürgern im Raum Stein am Rhein, Stammheim und der Kartause Ittingen führte am 19. Juli 1524 zur Eskalation und endete in der Zerstörung des Klosters von Warth-Weiningen.
Im Projekt «1524 Stürmische Zeiten» beleuchten Akteure aus drei Kantonen die damaligen Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven.
Informationen sowie alle Veranstaltungen und Projektpartner finden Sie zusammengefasst unter: www.1524.ch
Historischer Kontext
Die Reformation in Zürich mit Reformator Zwingli begann die Eidgenossen auf dem Lande zu beeinflussen. So wurde in den Kirchen mancher Gemeinden ein Bildersturm ausgelöst, unter anderem in Höngg, Weiningen, Eglisau und Zollikon. Auch in Stammheim und Stein am Rhein wurden im Zuge eines Beschlusses des Zürcher Rats der Reformation Heiligenbilder, Kreuze und Altäre aus den Kirchen entfernt oder gar zerstört. Dieser Akt wurde von katholischer Seite als Kirchenschändung eingestuft.
Die Bevölkerung fühlte sich bedroht und ersuchte um Schutzbündnisse mit Stammheim, Waltalingen, Nussbaumen TG und Stein am Rhein.
Unter Ausschluss von Zürich erteilte die Tagsatzung dem Schwyzer Landvogt Josef Amberg, welcher die katholischen Orte in Frauenfeld vertrat, den Befehl, den rebellischen Pfarrer der Kirche Burg bei Stein am Rhein und Freund von Zwingli, Johannes Oechsli, zu inhaftieren, was dieser folgsam ausführte.
Unter Glockengeläut zogen daraufhin rund 3000 reformierte Bauern der Region Stein am Rhein und Stammheim, darunter die Protagonisten, die Untervögte von Stammheim und Nussbaumen TG, Hans Wirth und Burkhart Rüttimann, wie auch Hans Wirths Söhne, Johannes und Adrian, wütend in den Aufstand. Diese Aktion endete in einer erfolglosen Verfolgung am Ufer der Thur. Pfarrer Oechsli war bereits im Schloss Frauenfeld eingekerkert.
Frustriert beschloss die hungrige und durstige Meute, ihren Unmut in der nahegelegenen Kartause Ittingen kundzutun, wo das Archiv zerstört, das Kloster geplündert, die Mönche entkleidet und das Wasser im Fischteich abgelassen wurde. Die Schändung des Sakraments und die damit verbundene Ablehnung der Herrschaft der katholischen Klöster durch die Reformatoren entfaltete sich in erschreckendem Ausmass, sodass schliesslich ein Teil der Kartause Ittingen in Brand gesetzt wurde und lichterloh brannte. Der Prior und viele der Mönche verliessen die Kartause, deren Wiederaufbau 30 Jahre in Anspruch nahm.
Währenddessen kam es zur Auslieferung der Rädelsführer im Aufstand der beiden Juli-Tage. Es folgte die Überführung der Gefangenen nach Baden. Das Gericht verhängte über Hans und Johannes Wirth sowie über Burkhart Rüttimann die Todesstrafe, während Adrian Wirth eine Begnadigung erfuhr. Pfarrer Johannes Oechsli, dessen Gefangennahme den Sturm ausgelöst hatte, wurde freigelassen.
In diese Zeit der reformatorischen Bewegung fiel 1525 zudem die Aufhebung des Klosters Sankt Georgen in Stein am Rhein, womit das Kloster unter die direkte Herrschaft Zürichs fiel.
Im Unterschied zu den Geschehnissen in Ittingen verlief die Transformation in Sankt Georgen kontrollierter und geordneter.
Gewisse Divergenzen und Reibereien führten jedoch dazu, dass ein Teil des Konventes ins Exil zog und bis 1802 als Teil des Klosters Petershausen weiterbestand. So setzte die Reformation zwar den Schlussstrich unter eine mehr als 500-jährige Herrschaft der Äbte über Stein am Rhein, nicht aber unter die Biografie des Benediktinerkonventes St. Georgen.
Geschichtliche Bedeutung
Der Ittinger Sturm war ein bedeutsames Ereignis im Rahmen der Reformation. Er zeigte die Spannungen und Konflikte innerhalb der Gesellschaft auf, die durch religiöse Veränderungen und sozial-politische Machtkämpfe entstanden und war gleichzeitig ein Weckruf, insbesondere für Zürich. Keine reformierte Herrschaft hatte eine solche Unruhe im Sinne.
Die Zerstörung der Kartause Ittingen bleibt ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Region und erinnert an die Unruhen dieser Ära.
Der Ittinger Sturm steht dabei am Anfang der geschichtsträchtigen Konflikte zwischen den Konfessionen, vertiefte die bestehenden Unstimmigkeiten und wurde damit zur konstanten Auseinandersetzung der Eidgenossen, die bis ins Jahr 1847 andauerte.
Projekte und Ausstellungen
«Es freut mich ausserordentlich, dass wir dank Initiant Markus Landert, dem ehemaligen Leiter des Kunstmuseums Thurgau, eine solch schöne und bereichernde Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Projektpartnern aus drei Kantonen haben erreichen dürfen. Unsere Gäste dürfen sich auf multiperspektive, umfangreiche und äusserst kreative Veranstaltungen zum Thema ‘1524 Stürmische Zeiten’ freuen», eröffnet Projektleiterin Monika Grünenfelder im persönlichen Gespräch.
Dabei werden die historischen Themenfelder in der Kartause Ittingen, im Museum Kloster St. Georgen, in der Oberen Stube in Stein am Rhein sowie im Museum Stammertal näher beleuchtet. Ein Stationenweg beider Landeskirchen und des Vereins tecum, ebenso ein Skulpturenweg der Reformierten Kirche Stammheim laden dazu ein, über aktuelle Themen und Glaubenssätze nachzudenken. Denn bis heute sind wir mit weltweiten Sturmböen konfrontiert.
Kartause Ittingen – Ittinger Museum
21. April 2024 bis Frühjahr 2025
Die Ausstellung im altehrwürdigen, ehemaligen Weinkeller des Ittinger Museums und somit am ursprünglichen Schauplatz des Geschehens beleuchtet die verschiedenen (Teil)Aspekte und Etappen des Tumultes von Juli 1524 sowie des anschliessenden 30-jährigen Wiederaufbaus der Kartause Ittingen durch die verbleibenden Mönche. Mittels Workshops, Live-Vorträgen, Führungen und einer interaktiven Zeitachse erleben Besucherinnen und Besucher die Geschehnisse hautnah mit.
www.ittingermuseum.tg.ch
Der Stationenweg
Ab 1. Mai 2024
Der durch den Verein tecum, gemeinsam mit der katholischen und evangelischen Landeskirche Thurgau, realisierte Stationenweg führt an die zentralen Orte des Geschehens. Entdecken Sie Geschichte und Gegenwart: Als Ausgangspunkt des idyllischen Rad- und Wanderweges erstrahlt die Kirche Burg in Stein am Rhein, weiter die Kirche Stammheim, die Kirche Nussbaumen TG, die Kirche Uesslingen, die Kartause Ittingen und über den Thurübergang bei der Rohrerbrücke abschliessend das Schloss Frauenfeld. Entlang eines malerischen Pfades finden sich mehrere Gedenktafeln, die faszinierende Einblicke in die Vergangenheit bieten und gleichzeitig historische, theologische wie gesellschaftliche Fragen stellen. Jede Station ist mit einem QR-Code ausgestattet, der vertiefte Informationen enthält, während Podcasts die Veränderung von einst lebendig werden lassen. Wie gehen wir mit Wut um? Wie können Eskalationen vermieden werden? Und wie können wir trotz unterschiedlicher Meinungen miteinander verbunden bleiben? Der Stationenweg ist ebenso für Familien und Schulklassen geeignet, um gemeinsam zu lernen und zu reflektieren.
Weitere Informationen unter:
www.tecum.ch
Skulpturenweg Stammheim
Ab 7. April 2024
Mit kreativen Veranstaltungen im «Namen der Rose – Hoffnung und Erneuerung» und einem informativen Skulpturenweg zum Thema «Seht, der Mensch – Im Blick auf das Charakteristikum – erkenne Dich selbst» wird an die Einführung der Reformation im Stammertal erinnert. Die vom ortsansässigen Künstler Mike Albrow entworfenen Figuren «Not», «Tat», «Wut» und «Mut» greifen die Frage nach dem Wesen des Menschen auf und laden zur Besinnung ein. Die erste Station befindet sich direkt bei der reformierten Kirche Unterstammheim, weiter geht es zur Galluskapelle, nach Sankt Anna bis hin zur Antoniuskapelle. Die Skulpturen bestehen aus vergänglichen Materialien und werden in den kommenden Jahren von wachsenden Rosen geziert sein.
Im Zeichen des Gedenkens soll auch die Lebensfreude nicht zu kurz kommen. Dazu hat das Weingut «Glesti» aus Oberstammheim den Jubiläumswein «1524 – Stürmische Zeiten» gekeltert.
www.kirche-stammheim.ch
Museum Stammertal
7. April 2024 bis 5. Oktober 2025
Die Sonderausstellung im Museum Stammertal widmet sich dem faszinierenden Thema des Erinnerns und seiner Rolle für unsere Identität sowie unser Verständnis von Vergangenheit und Gegenwart. Ausgehend vom Ittinger Sturm im Jahre 1524 erforscht die Ausstellung, was uns an diesen Turbulenzen festhalten lässt und welche Relevanz wir ihnen heuer beimessen. Im Mittelpunkt stehen Erläuterungen über die Familie Wirth und ihre Verbindung zum Ittinger Sturm. Stammheim, als Wohnsitz der Familie Wirth, spielte eine bedeutende Rolle während dieser Divergenzen und die kollektive Erinnerung daran ist bis heute wahrhaftig. Das Wohnhaus der Familie Wirth existiert dabei noch immer und dient als greifbares Zeugnis dieser Vergangenheit.
Ein besonderes Highlight schenkt die Darstellung des Familienstammbaums, der zeigt, dass die Linie der Familie Wirth durch 17 Generationen bis in die Gegenwart reicht. Diese Visualisierung verdeutlicht die Kontinuität und den Einfluss der Familie über all die Jahrhunderte hinweg.
www.museumstammertal.ch
Museum Kloster Sankt Georgen, Stein am Rhein
4. Mai bis 27. Oktober 2024, 1. April bis 26. Oktober 2025
Das Museum Kloster Sankt Georgen war ein weiterer Ausgangsort der geschichtsträchtigen Vorkommnisse und widmet sich in der Saison 2024 und 2025 dem Strudel der Reformation. Stein am Rhein und Zürich lagen im Streit, die Machtverhältnisse zwischen der Bevölkerung und den Geistlichen galt es zu durchbrechen. Das Museum möchte mit seinem Angebot den sozialen wie religiösen Kontext in Stein am Rhein vor und nach der Reformation ins Bewusstsein rücken, insbesondere die Auswirkungen der Klosteraufhebung thematisieren. Besucherinnen und Besucher können sich auf eine fesselnde Reise durch die Phasen der Reformation begeben, indem sie historische Artefakte, Hörspiele, Gastvorträge und Führungen erkunden.
www.klostersanktgeorgen.ch
Kulturhaus Obere Stube, Stein a.Rh.
29. Juni bis 31. Oktober 2024
Diese aussergewöhnliche Ausstellung strahlt einen faszinierenden Blick auf das Spannungsfeld konträrer Meinungen und lädt ein, die eigene Betrachtungsperspektive zu überdenken wie auch über die fundamentalen Fragen von Glaube, Existenz und Machtstrukturen nachzudenken. Welche Überzeugungen bringen wir mit und wie gehen wir mit den Überzeugungen anderer um?
Zwei zeitgenössische internationale Künstler erschaffen Gedanken über das Verhältnis von Bild, Natur und Frömmigkeit. Der belgische Konzeptkünstler Kris Martin überrascht mit leisem Humor und bespielt christliche Symbolik, institutionelle religiöse Riten sowie Fragen nach Zeit und Vergänglichkeit. Schon ab dem 3. Mai wird seine «Kunst im öffentlichen Raum» im Park neben der Espibadi zu bewundern sein.
Parallel dazu ersucht Künstler Ola Kolehmainen die Repräsentationsformen des Göttlichen in Architektur und räumlicher Lichtinszenierung zu ergründen. Ihre Werke bedienen sich einfacher Mittel mit grosser Wirkung und werfen ein Licht auf die Frage nach der Moral jeher.
www.kulturhaus-oberestube.ch
Kantonsübergreifendes Projekt
Bereits zu Beginn des Jahres 2023 war den beteiligten Projektpartnern klar, dass eine bereichernde Kooperation wie diese unternommen werden soll. Von Ausstellungen bis hin zu Führungen und interaktiven Veranstaltungen entstand ein breites Spektrum an spannenden Möglichkeiten, die Revolution so unmittelbar wie möglich erleben und erforschen zu können.
Die Zusammenarbeit über die Kantons- und Gemeindegrenzen hinweg ermöglicht es, Ressourcen zu bündeln und eine umfassende Palette an Aktivitäten anzubieten. Dies fördert nicht nur das Verständnis für das historische Ereignis, sondern stärkt auch den Zusammenhalt und Austausch zwischen den beteiligten Regionen.
Das kantonsübergreifende Projekt verdeutlicht die Bedeutung von Partnerschaft bei der Bewahrung und Erforschung der Geschichte. Es zeigt, dass es Seite an Seite, Hand in Hand gelingt, vergangene Gegebenheiten am Leben zu halten und einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Sarah Utzinger