Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 09.11.2022

Mit dem Velo von Frauenfeld nach Griechenland und zurück

Eugen Benz auf grosser Reise

Noch nie war die Lust auf Meer so gross wie dieses Jahr, auch bei mir. Aber wie reisen? Natürlich auf Eugens Art: Auf dem Velo.

 

 

Zuerst war die italienische Adriaseite angedacht, aber die Warnungen flatterten wie Fahnen im Wind: Achtung, gewaltiger Verkehr an Italiens Küstenstrassen. Ich entschloss mich, die andere Seite der Adria zu fahren, also den Balkan hinab bis Patras in Griechenland. Die Route lautete: Österreich, Südtirol, Norditalien-Poebene bis Trieste, Slowenien, Kroatien, Bosnia und Herzegowina, Montenegro, Albanien und Griechenland. Ich glaubte selbst nicht, dass ich das schaffen würde. Am 15. Juni fuhr ich los. Am ersten Abend schrieb ich auf Whatsapp: «Bin in Bettwiesen, Patras ist noch weit ...», aber am 5. September fuhr ich über die zweitlängste Schrägseilbrücke der Welt und bog in Patras um die Ecke. Geschafft. Ich blieb ein paar Tage, bis die Fähre nach Venedig ablegte, und fuhr im Bus an meinen Sehnsuchtsort Athen, um – noch einmal – die Akropolis zu sehen. Es war eine der schönsten Reisen bisher, vergleichbar mit Kuba.

Tue Gutes …
Im Trentino lag mitten auf der Strasse eine Schlange zusammengerollt, die einen unversehrten Eindruck machte. Stellte sie sich tot? Ich wendete das Rad und näherte mich von der anderen Seite. Und prompt schlug sie sich blitzlebendig seitwärts in die Büsche. Das nächste Auto hätte sie überrollt. Ebenfalls im Trentino fand ich auf der Strasse ein plattgewalztes Portemonnaie mit Ausweis, Karten und viel Bargeld. Ich gab es am Bauernstand ab, an dem ich just vorher Kirschen gekauft hatte. Die junge Frau kannte offensichtlich den Besitzer. Und «so erzeugt ein Gutes ein nächstes»: Sieben Kilometer vor Trieste nahm ich ein Meerbad und verlor bei der Weiterfahrt den nachlässig aufs Gepäck geschnallten Rucksack. Ich radelte die ganzen Kilometer zurück zur Badestelle, fand nichts. Dann auf der Rückfahrt der Rückfahrt stand er plötzlich am Strassenrand zwischen zwei parkierten Autos und blinzelte mich an. Jemand hatte ihn gut sichtbar hingestellt. Ich war unfassbar dankbar.

Unsagbar blau
Die Adria ist so unsagbar blau, ich wusste gar nicht, wie blau ein Blau sein kann im Glitzern der Sonne. Und das würde so bleiben bis Patras: Das Blau hat mich magisch in den Bann gezogen. Oft schwamm ich drei Mal am Tag und spürte die blaue Unendlichkeit unter mir. In Slowenien landete ich wieder einmal auf der Autobahn. Irgendwann kam eine Zahlstelle des Weges und ich versuchte, mich und mein Velo am Rand durchzuschmuggeln, da ging der Alarm los. Ich kam ohne Busse davon. Man hat mich einfach zurückgeschickt ohne Polizeibegleitung. Handkehrum durfte ich in Albanien mit polizeilichem Segen riesige Stücke auf Autobahnen fahren.

Viel Wasser trinken war wichtig
An den drei Inselquerungen Nord-Süd auf Krk, Rab und Pag durchfuhr ich eine unglaubliche Mondlandschaft. Wenn die dort Solartechnik bauen würden, die könnten ganz Europa mit Energie versorgen. Auf den Hochebenen wächst kein Halm. Heiss, schattenlos und fast windstill wars. Ich bestand auf Pag die Feuerprobe mit 9 Stunden Fahren an der Hitze, 67 Kilometern Distanz und einigen hundert Höhenmetern Aufstieg. Ich bekam Selbstvertrauen. Wichtig war einfach, dass ich drei 1 1/2-Liter Wasserflaschen bei mir hatte, die abends leer waren. Im südlichen Kroatien brannten die Hänge. Ich befürchtete, zum Glück grundlos, ich müsste mit zwei Zwanzig-Euro-Scheinen winken, damit mich ein Pickup durch den Rauch bringt.

Mit Covid am Meer
In Makarska bekam ich leichtes Fieber. Die beiden Covid-Schnelltests zeigten «Positiv» an. Ich schlief in den Nächten 10 Stunden, schwamm tagsüber im Meer und döste im Schatten, war sehr müde, und nach 10 Tagen war das Fieber weg und ich reiste weiter. Die zweite Herausforderung – nebst der Hitze – war der Verkehr. Es gibt kaum ÖV. Hie und da kommt ein Bus, vielleicht auch erst morgen. So sind alle aufs Privatauto angewiesen. Die Kroaten sind zudem ein nervöses Volk auf der Strasse. Und auf dem Balkan sind Velofahrer die absoluten Exoten, gerade gut genug zum Schimpfen und Hupen. Die pure Hölle erlebte ich südlich Dubrovnik etwa 350 MüM auf einer schmalen Hauptstrasse, die über Kilometer den Berg hinaufführte. Rechts gings s’Loch ab, niedrige Leitplanke und extrem viel Verkehr. Und die haben gehupt wie die Wahnsinnigen, zu fünft gleichzeitig in beiden Richtungen, und Schimpfwörter am Laufmeter aus den Fenstern. Zum Glück versteh ich kein Kroatisch. Beim Vorbeifahren versuchten die mir das Baumästchen abzureissen, das ich quer aufs Gepäck gebunden hatte, damit sie den Bogen machen. Aber wisst ihr was? Schön wars! Ich wurde auf der Veloreise von 100 000 Autos überholt und keins hat mich abgeschossen. Ihnen allen bin ich unendlich dankbar. Wir wissen gar nicht, wie wunderbar und segensreich der ÖV in der Schweiz ist. Er darf auch etwas kosten.

Eugen Benz


Noch einmal
Es gäbe soviel zu erzählen, wir sind ja erst in Kroatien! Aber hier ist Schluss. Wer fährt mit? Nächstes Jahr mache ich die Reise vielleicht ein zweites Mal – oder Spanien. Das geht so: Drei/vier Monate einplanen. Wir fahren im Langsamtempo und zwar: einen bis drei Tage Fahren, je ca. 50-70 Kilometer, dann einen bis drei Tage Pause, Schwimmen, Wandern, Geniessen, Ausruhen. Und dann weiter. Unterkünfte per booking.com. Kartenmaterial: Google-Maps. Und macht euch keine Illusionen: Die Tour ist anstrengend.
(eb)