Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 26.10.2022

«Diesen Sieg würde ich natürlich sofort tauschen»

Der Frauenfelder Radprofi Stefan Küng zieht trotz einigen fehlenden Sekunden an der EM und der WM eine sehr positive Saison-Bilanz. Genau vor einer Woche ist der 28-Jährige mit seiner jungen Familie zu einem monatlichen USA-Trip aufgebrochen.

 

 

Seit 2015 ist Stefan Küng Radprofi und hat seither unzählige Rennen bestritten. Allein in diesem Jahr sass er 63 Renntage im Sattel. Er merkte allerdings sofort an: «Das ist nichts Spezielles, andere absolvierten bis zu 80 Renntage». Schaut er nochmals kurz zurück, dann scheint bereits wieder das Positive auf: «Es ist bei allem immer die Frage, ist das Glas nun halbvoll, oder ist es halbleer?» Das dachte er sich wohl auch, als im Juni gleich nach der Tour de Suisse, wo er hervorragender Gesamtfünfter wurde, seine Frau Céline Sohn Noé auf die Welt brachte. Und wenig später wurde Küng von Corona ausgebremst. Natürlich will der Frauenfelder, obwohl es immer noch ein bisschen weh tut, auf die knappen Niederlagen im Zeitfahren an der Europa- und an der Weltmeisterschaft zurückkommen: «Bei zweimal so geringen Abständen muss ich rein von der Leistung her absolut zufrieden sein. Es motiviert mein gesamtes Groupama-Team, wenn alle sehen, dass der Fahrer stets alles was er im Tank hat hergibt». Zur Erinnerung sei angemerkt: An der EM in München Mitte August war der Felbener Stefan Bissegger zarte 32 Hundertstel schneller als Küng. Einen Monat später im australischen Wollongong schnappte der Norweger Tobias Foss nach 34,2 Kilometern mit 2,95 Sekunden Vorsprung Küng die Goldmedaille weg.

Den Spiess endlich umgedreht
Welche Klasse Stefan Küng beim Kampf gegen die Uhr aufweist, zeigte sich zum Abschluss der Saison am «Chrono des Nations» in Les Herbiers. Dieses Zeitfahren hatte der Frauenfelder bereits vor einem Jahr mit 36 Sekunden Vorsprung auf den Dänen Martin Madsen (er wurde heuer mit 33 Sekunden Rückstand Vierter) gewonnen. Diesmal wurde es bei sehr starker Konkurrenz etwas enger, nach 45,43 Kilometern triumphierte Küng mit zwei Sekunden Vorsprung auf Weltmeister Foss. Als Dritter benötigte der Italiener Matteo Sobrero elf Sekunden mehr. Europameister Bissegger verlor als Siebter 1:04. Für den am 16. November 29 Jahre alt werdenden Küng war dieser Sieg eine gewisse Genugtuung: «Ein schöner Abschluss im letzten Rennen des Jahres».

Bewusst etwas langsamer begonnen
Warum hat es in Frankreich besser geklappt als in Australien? «Wir haben eine andere Vorgehensweise angewendet. Zu Beginn für ich etwas dosiert, damit ich im Finish zusetzen konnte. Das gelang, denn bei der Zwischenzeit lag Foss sechs Sekunden vor mir». Küng schob nach: «Logisch, hat dieser Sieg einen gewissen Status, aber ich würde ihn sofort gegen den WM-Titel eintauschen. Gewinnt man eine EM oder WM, darf man in der folgenden Saison mit einem Sonder-Trikot unterwegs sein. Das ist speziell und das habe ich zweimal hauchdünn verpasst». Nach einer kurzen Pause fügte er vielsagend an: «Schon nach der WM-Siegerehrung in Australien habe ich gesagt: Wenn ich 2024 in Zürich, im eigenen Land Weltmeister werde, ist es egal, dass ich heuer mit Silber Vorlieb nehmen musste».

Mit dem Camper unterwegs
Seit 2019 fährt Stefan Küng für den Rennstall Groupama-FDJ. Offensichtlich sind die Franzosen mit ihm äusserst zufrieden, denn sein Vertrag wurde bereits bis 2025 verlängert. Aus diesem Grunde konnte der Thurgauer mit Familie vor einer Woche guten Mutes für einen Monat in die USA verreisen: «Ferien, das ist eine ganze andere Welt, darauf freute ich mich riesig. Wir besuchten zuerst nördlich von Chicago Verwandte meiner Frau Céline, die ausgewandert sind. Seither sind wir mit einem Camper Richtung Westküste unterwegs». Nach der Rückkehr in die Schweiz wird sich der vierfache Saisonsieger sofort wieder auf das Rad setzen. Am 9. Dezember folgt in Paris bereits die Präsentation des neuen Teams, welches gleich anschliessend für zehn Tage ins Trainingslager nach Spanien aufbricht.

Ruedi Stettler


Neun Podestplätze
Dass Stefan Küng eine ausgezeichnete Saison absolvierte, beweist auch sein siebter Platz in der Weltrangliste. 2022 gab es für ihn vier Triumphe: Beim Chrono des Nations, im Mixed-Relay an der WM, beim Zeitfahren an der Tour Poitou, wo er auch Gesamtsieger wurde. Dazu kamen zwei Silbermedaillen, aber unglaublich bittere, an der WM und der EM. Dritte Ränge schauten beim Zeitfahren an der Tour de Suisse, der E3 Classic und beim legendären Rennen Paris – Roubaix heraus.
(rs)