Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 07.04.2022

Mit einer ausgeliehenen Kamera die Bronze-Feier gefilmt

Das Sportforum 2022 im Kongresszentrum Thurgauerhof in Weinfelden bot gleich mehrere Leckerbissen. Neben internationalen Stars kam auch der Breitensport und 50 Jahre J+S nicht zu kurz.

 

 

Weil das Schweizer Sport-Förderprogramm Jugend+Sport heuer sein 50-Jähriges Bestehen feiert, war dieses Thema ein Kernpunkt beim Sportforum 2022. Es war ein imposantes Bild, als die geehrten langjährigen J+S-Kursleiter auf der Bühne fast keinen Platz fanden.
Freudig begrüsste Regierungsrats-Präsidentin und Sportministerin Monika Knill die 280 geladenen Gäste: «Ein kleiner Virus hat in den letzten zwei Jahren die ganze Welt verändert. Jetzt haben wir mit dem Krieg in der Ukraine bereits die nächste Herausforderung vor uns. Schön, dass sich wenigstens die Thurgauer Sportwelt wieder ohne Maske treffen kann».
Sportamtschef Martin Leemann schlug eine Brücke zwischen den anwesenden Weltklasse-Athleten und dem Breitensport als Grundlage für solche Triumphe. Er durfte eine Vielzahl an super Darbietungen vermelden: «An Europa- und Weltmeisterschaften holten Thurgauer insgesamt 63 Medaillen. Das heisst auch, wir durften 3,5 Millionen Swisslos-Gelder als Erfolgsprämien auszahlen».

Günthörs Elend in Barcelona
Dass es überhaupt so weit kommt, dafür sind im Breitensport viele Trainer verantwortlich. Etwa die ehemalige Schweizer Geräteturn-Meisterin Claudia Borner (die Schwester von Fussball-Nationalgoalie Pascal Zuberbühler) als Trainerin in der Frauenfelder Turnfabrik. Oder die trotz Mutterschaftsurlaub weiter im Verein aktive Fabienne Müllhaupt.
Der vom Schweizer Fernsehen bestens bekannte Moderator Bernhard Schär wusste über die Stars – immer ohne Spickzettel – viele interessante Begebenheiten. Der nach wie vor beste Schweizer Leichtathlet aller Zeiten, Werner Günthör, gab unumwunden zu: «Nach dem enttäuschenden vierten Platz an den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona habe ich in den Armen meiner damaligen Freundin und heutigen Frau Nadja, sehr lange nur geheult».
1988 hatte der vierfache Kugelstoss-Weltmeister in Seoul Bronze geholt. Man darf nicht vergessen, mit seiner Bestweite von 22,75 Metern von 1988 in Bern, liegt der heute 60-Jährige in der ewigen Liste weltweit immer noch an achter Stelle.
Der Baumeister vieler Karrieren (Günthör, Mirko Spada, Linda Züblin, Kariem Hussein, Yasmin Giger) im Thurgau ist Werner Dietrich.

Dietrich ein ewig Gestriger
Schär lobte besonders Dietrichs unglaubliches Auge für Talente und wollte wissen, wie er das macht: «Keine Ahnung, ich bin doch ein ewig Gestriger». Ergänzte aber: «Ich muss mich den Jugendlichen anpassen, nicht umgekehrt. Das Vordergründigste ist, im Athleten sehe ich stets zuerst den Menschen». Das bestätigte die aufstrebende Hürdenläuferin Yasmin Giger, die voll des Lobes ist über ihren ehemaligen Trainer und grossen Förderer.
Einer der sich voll dem Radsport verschrieben hat ist Marcello Albasini. Der Lanterswiler führte nicht nur Fabian Cancellara an die Weltspitze, er trainierte auch seinen erfolgreichen Sohn Michael und übergab vor einem Jahr das Amt des Nationaltrainers an ihn. Von jung an begleitet er auch den Zeitfahr-Spezialisten Stefan Bissegger (Felben), der bereits World-Tour-Rennen gewann.

Als Strafe zu den Schützen
Der an vielen Tennis-Grand-Slams, Olympischen Spielen, WM und EM als Fernsehmann im Einsatz stehende Bernie Schär hatte mit Heidi Diethelm Gerber ein ganz spezielles Erlebnis: «Bei Olympia in Rio 2016 wollte niemand zu den Schützen, ich meldete mich. Dann lag da plötzlich mit Heidi eine Schweizerin weit vorne. Per Handy meldete ich mich im Studio und die Kollegen fragten sich, ob ich in einem Cowboy-Film sitze, weil es rundherum knallt. Nachdem die Thurgauerin sensationell Bronze herausgeschossen hatte, musste ich mir bei den Österreichern eine Film-Kamera ausleihen, um die unerwartete Bronze-Feier überhaupt festhalten zu können». Die jetzige Nationaltrainerin der Pistolenschützen – sie betreut nun auch ihren Sohn Dylan - sass daneben und schmunzelte.

Hug ist nicht zu bremsen
Als gleich vierfacher Goldgewinner an den Paralympischen Spielen in Tokio 2021 überlegte sich Marcel Hug ernsthaft, ob er seine Karriere beenden soll. Der 36-jährige Pfyner tat es zum Glück nicht und stellte heuer in Dubai bereits zwei Weltrekorde über 5000 Meter auf. Der Weltbehindertensportler des Jahres 2017 ist nach wie vor auch auf der Kleinen Allmend in Frauenfeld, oder auf der schnellsten Bahn der Welt, in Arbon, am Trainieren. Seine nächsten Ziele sind die bekannten Marathons: «Wäre schön, wenn ich die Majors-Serie nochmals gewinnen könnte». Nach dem Sieg in Tokio anfangs März hat der Thurgauer die Siegprämie von 20 000 Dollar für die Kriegsopfer in der Ukraine gespendet. Eine super Geste.
Es wurde ein emotionaler Schluss des Abends, denn Schär wünschte vom Publikum, den Topstar der Rollstuhl-Leichtahleten bitte mit einer Standing Ovation zu verabschieden. Was logischerweise mit lang anhaltendem Applaus auch geschah. 

Ruedi Stettler