Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 05.05.2021

Eine Hebamme für jedes Neugeborene

Unterstützung für sozial belastete Familien

Der Verein Thurgauer Hebammen betreibt eine Hotline, die Eltern für die Zeit nach der Geburt unkompliziert eine Hebamme vermittelt. Das Angebot ist eine Entlastung für Spitäler und ist gefragt, vor allem bei sozial schwächeren Familien und Migrantinnen. Das zeigt eine Auswertung seit dem Start der Hotline im Jahr 2016.

 

 

Nicht alle werdenden Eltern organisieren vor der Geburt ihres Kindes frühzeitig eine Wochenbettbetreuung. Gründe dafür sind zum Beispiel fehlendes Wissen um das Angebot oder auch Versorgungsengpässe. Für diese Familien betreibt der Verein Thurgauer Hebammen seit 2016 eine Hotline, die unkompliziert und rasch eine Hebamme vermittelt. Die Vermittlungshotline der Thurgauer Hebammen ist Teil des kantonalen Projekts «Guter Start ins Kinderleben», das die Vernetzung und Zusammenarbeit in der frühen Kindheit und im Kinderschutz fördert.

Für den Notfall
Diese Hotline ist gemäss Vize-Präsidentin Katharina Iseli eine Win-Win-Situation: «Einerseits fällt für die Hebammen der Telefonstress weg und ihr zusätzlicher Aufwand wird finanziell entschädigt. Andererseits kann Familien so innerhalb von 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr eine Hebamme vermittelt werden», erklärt sie. Die Nummer der Hotline haben indes nur die Spitäler. Da diese ja nur im Notfall beim Fehlen einer Hebamme gewählt werden muss.
Gestartet sei man vor fünf Jahren mit 35 Hebammen, die Mitglied im Verein waren. «Heute sind es bereits deren 60», sagt Katharina Iseli dazu. Zahlen leicht rückläufig
Im Auftrag des Vereins Thurgauer Hebammen hat die Forschungsstelle Hebammenwissenschaft der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) die Nutzung der Vermittlungshotline sowie den Nutzen, die Chancen und die Herausforderungen für die Hebammen und andere Interessenvertreter untersucht. Im Zeitraum von September 2019 bis August 2020 wurde an insgesamt 240 Frauen eine Hebamme vermittelt. Zum Vergleich: Im ersten Jahr der Hotline waren es noch 350 Frauen. 2020 kamen 22 Prozent der Frauen, die eine Hebamme benötigten, aus Frauenfeld. 2016 waren es 17 Prozent. Der Bedarf ist also leicht rückläufig.

Frauen mit Migrationshintergrund
Das Angebot nahmen mehrheitlich Wöchnerinnen ausländischer Nationalität (82,2 Prozent) in Anspruch. Besonders gross war dabei der Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund der ersten Generation (60 Prozent). Rund 31 Prozent der Wöchnerinnen hatten zudem keine abgeschlossene Berufsausbildung. «Das zeigt, dass das Angebot vor allem für sozial benachteiligte oder belastete Familien eine wichtige Unterstützung ist», sagt Katharina Iseli.

Chancengerechtigkeit
Daher sei die Arbeit der Hebammen gerade in den ersten Tagen nach der Geburt ein wichtiger Punkt. «Denn durch die Unterstützung und Hilfe können wir für einen guten Start ins Leben und somit für Chancengerechtigkeit sorgen», sagt Katharina Iseli dazu. Diese Betreuung sei gerade in Zeiten, in denen der Spitalaufenthalt nach einer Geburt immer kürzer werde, von grosser Bedeutung. Die Hebammen bekommen zudem Einblick in die Familien und könnten falls nötig an Stellen wie zum Beispiel die Mütter- und Väterberatung mit weiterführenden Angeboten verweisen, ergänzt die Vize-Präsidentin. «Die bessere Integration hilft langfristig allen Beteiligten, senkt Kosten und die frühe Förderung spielt eine immer wichtigere Rolle», ist sich Katharina Iseli sicher.

Kein Beratungstelefon
Der Kanton Thurgau, die Gemeinden sowie die Spital Thurgau AG beteiligen sich alle mit Leistungsvereinbarungen an den Kosten der Hotline. «Wir wollen verantwortungsvoll mit diesen Geldern umgehen», sagt Katharina Iseli. Das sei auch der Grund für diese Untersuchung gewesen. Man sei immer darauf bedacht, zu optimieren.
So stand beispielsweise auch schon die Idee im Raum, ein Beratungstelefon anzubieten. «Aber wenn jede Frau, die ein Kind erwartet, eine Hebamme hat oder eine Hebamme vermittelt wurde, sind diese jeweils die erste Ansprechperson. Also braucht es dieses Angebot gar nicht», so die Vize-Präsidentin.
Für den Verein Thurgauer Hebammen ist daher klar, dass das Ziel ein anderes sein muss: «Wir möchten erreichen, dass alle Familien rund um die Geburt eine Hebamme zur Seite haben, wenn sie dies wünschen», erklärt Katharina Iseli.


Zufriedene Hebammen
Die im Rahmen der Studie befragten Hebammen beurteilten den Aufbau und den Betrieb der Vermittlungshotline gemäss ZHAW-Untersuchung sehr positiv, mit 3,8 von 4,0 möglichen Punkten auf einer Bewertungsskala. Einige der Vereinsmitglieder empfanden das «Hüten» des Vermittlungstelefons teilweise jedoch als stressig. Dieser Aufwand wurde auch von den Verantwortli-

chen auf den Wochenbettstationen wahrgenommen, welche die Idee einer moderneren, technischen Lösung in den Raum stellten. Auch Vereinsmitglieder äusserten ähnliche Ideen, die nun geprüft werden sollen. Der Vereinsvorstand nehme dieses Bedürfnis ernst und prüft digitale Lösungen, die nutzerinnenfreundlich und finanziell tragbar sind.

Tag der Hebammen
Heute Mittwoch, 5. Mai ist der internationale Hebammentag. Dieser Tag soll immer wieder Zeichen dafür sein, die Solidarität zwischen Hebammen und Frauen auf der ganzen Welt zum Ausdruck zu bringen und die Gesellschaft für die reproduktive Gesundheit zu sensibilisieren. Dieses Jahr trägt der Tag das Motto: «Die Daten sprechen für sich: Investiert in Hebammen.» Mehr Informationen unter www.hebamme.ch.


(mra)





 

 

Eine Hebamme für jedes Neugeborene