Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 14.04.2021

Interview mit Benjamin Gentsch, Gemeindepräsident von Neunforn

«Dass wir je einen Bahnhof bekommen, ist natürlich unrealistisch.»

Welcher Leit- oder Grundsatz begleitet Sie als Gemeindepräsident durch den Alltag?
Nimm dir jeden Tag vor, die richtigen Sachen recht zu machen. Sprich, die richtige Auswahl an Dingen zu treffen und diese bestmöglich zu erledigen. Aber sei dir bewusst, dass es nie allen passen wird. Denn wenn du immer allen alles recht machen willst, dann machst du im Endeffekt nichts.

 

 

Welche Herausforderungen stellen sich Ihrer Gemeinde – abgesehen von der Corona-Krise – in den kommenden Wochen und Monaten?
Die Organisation der Kanzlei und der Verwaltungstätigkeiten sind eine Herausforderung. Wir müssen mit Homeoffice den Service aufrechterhalten, was uns gut gelingt, auch mit kurzen Präsenzzeiten auf der Verwaltung. Für mich ist das derzeit fast eine erste Stufe zur Digitalisierung der Verwaltungstätigkeit, denn ich glaube, dass diese Entwicklung unaufhaltsam ist. Es wird wichtig sein, dass auch kleine Gemeinden diesen Schritt richtig machen. Wobei ich die Entpersonalisierung per se schlecht finde, weil der persönliche Kontakt etwas Wertvolles ist. Aber es benötigt ihn nicht mehr in allen Bereichen.

Wie schätzen Sie die verkehrstechnische Lage Ihrer Gemeinde ein (ÖV und Individualverkehr) und gibt es Verbesserungspotenzial?
Der Individualverkehr ist gut. Die Autobahnanschlüsse A4 und A7 – in Andelfingen und Frauenfeld – sind in wenigen Minuten erreichbar. Trotzdem haben wir die Nachteile davon nicht, beispielsweise den Lärm. Ausserdem befinden wir uns gut erschlossen im Dreieck Frauenfeld, Winterthur und Schaffhausen.
Im ÖV sieht die Sache etwas schwieriger aus. Oberneunforn hat zwei Buslinien, Niederneunforn eine und Wilen sowie Fahrhof keine. Dass die beiden kleinen Dörfer über keine ÖV-Anbindung verfügen, ist immer wieder ein Thema. Unbefriedigend sind zudem die Abendverbindungen. Auf der Linie Frauenfeld hat sich das seit dem Fahrplanwechsel 2019 mit dem Nachtbus verbessert. Aber von Andelfingen her sind die Verbindungen am Abend unter der Woche unbefriedigend. Dass wir je einen Bahnhof bekommen, ist natürlich unrealistisch. Auch wenn es vor etwa 150 Jahren Pläne für eine Eisenbahnlinie von Frauenfeld über Iselisberg und Neunforn bis nach Stein am Rhein gab.

Erschliessung zu Randzeiten ist doch ein Problem der Planung des Bundes, oder?
Das ist so. Der Bund sieht in seiner Planung in Sachen öffentlichem Verkehr für kleinere Gemeinden im ländlichen Raum nur noch das Grundangebot vor. Das darf aber nicht heissen, nur noch Angebot während der Stosszeiten. Diese Tendenz wäre fatal. Schliesslich hat auch die ländliche Bevölkerung einen Bedarf an ÖV-Angeboten ausserhalb der Stosszeiten.

Welche Projekte sind aktuell die Wichtigsten für Ihre Gemeinde?
Wir befinden uns mitten in der kompletten Überarbeitung unserer Kommunalplanung. Das gestaltet sich teilweise etwas schwierig, weil ein Ziel des Gemeinderats ist, die Bevölkerung miteinzubinden. Schliesslich geht es um die Strategie der nächsten 25 Jahre. Kürzlich konnte aber eine erste Bekanntmachung durchgeführt werden und Ziel ist, das Projekt bis Ende 2022 abzuschliessen.
Das zweite ist ein Generationenprojekt. Wir wollen die Zukunft unserer Wasserversorgung regeln. Dafür haben wir eine eigene Grundlagenstudie gemacht. Wir wollen uns absichern in Sachen Versorgung, Druckverhältnissen sowie Wasserqualität in aussergewöhnlichen Zeiten, sprich in Extremfällen. Von voller Autonomie bis hin zur Integration in einen grösseren Verband ist alles möglich. Darüber wollen wir noch in diesem Jahr informieren.

Was zeichnet Ihre Gemeinde aus?
Wir haben eine angenehme Grösse, eine gute Dorfkultur und ein lebendiges Dorfleben. Auch die Nachbarschaftshilfe funktioniert hervorragend. Das hat man gerade in dieser Pandemie gemerkt. Ausserdem ist unsere Lage hervorragend. Niederneunforn bietet eine tolle Aussicht ins Tal und auf die Berge und Oberneunforn ist unter anderem mit seiner Dorfstruktur sehr familienfreundlich. Wir sind ausserdem keine Schlafgemeinde, haben wir doch auch 250 bis 300 Arbeitsplätze im Dorf sowie viele aktive Vereine. Ausserdem sind wir finanziell gut aufgestellt und haben einen der tiefsten Steuerfüsse des Kantons.

Haben Sie einen Wunsch an Ihre Bevölkerung?
Ich wünsche mir ganz allgemein einen entspannteren Umgang mit unterschiedlichen Meinungen. Ich habe das Gefühl, dass tendenziell immer plakativer argumentiert wird. Ziel sollte sein, dass man fundiert und durchaus kontrovers miteinander diskutieren und danach trotzdem wieder friedlich beisammen sein kann.

Vielen Dank für das Interview.

Michael Anderegg