Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 24.02.2021

Die Stadtkaserne – ein Ort für Hilfe in der Not

Die Stadtkaserne hat in den 160 Jahren seit dem Baubeginn durch die Bürgergemeinde in mehrfacher Hinsicht grosse Bedeutung erlangt. Aktuell beherbergt sie auf dem Areal das kantonale Corona-Virus-Impfzentrum, zudem gibt’s ein Lazarett für Angehörige der Armee, die mit dem Virus infiziert sind. Was kaum jemand weiss: Vor 78 Jahren wurden in dieser Kaserne gar einmal Nazi-Soldaten aus Deutschland verarztet.

 

 

Wie Armeesprecher Stefan Hofer vom Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) zum Lazarett in der Stadtkaserne Frauenfeld sagt, handelt es sich bei den Erkrankten um «leichte» Infektionen. Hofer: «Schwerere Fälle werden umgehend in zivile ärztliche Obhut überwiesen».
Sechs Regionen Die Schweiz ist aus medizinischer Sicht durch die Armee in sechs Regionen unterteilt, vier grosse und zwei kleine. Eine der vier grossen hat ihren Standort in Frauenfeld. Wie viele Covid-Infizierte im Lazarett in der Stadtkaserne in Frauenfeld aktuell untergebracht sind, lässt Hofer offen. «Wir wollen vermeiden, dass eine Rangliste mit den Standorten erstellt wird», sagt er dazu.
Aktuell sind in der Schweiz gemäss Meldung vom Dienstag gesamthaft 94 Armeeangehörige in Isolation und 497 in Quarantäne. Letzte Woche waren 169 in Isolation und 356 in Quarantäne, in der vorletzten Woche waren 43 Armeeangehörige in Isolation und 30 in Quarantäne. Wie Hofer zum Thema weiter sagt, haben sich alle Angehörigen der Armee im Zivilleben mit dem Covid-19-Virus infiziert, sie brachten den Virus beim Einrücken also mit.

Lange Tradition
Mit der Funktion als Standort eines kantonalen Impfzentrums und dem Lazarett für Corona-Infizierte Militaristen wird in der Stadtkaserne ein nicht alltäglicher Einsatz für die Gesundheit geleistet. Das war bereits vor 78 Jahren einmal der Fall, während des 2. Weltkriegs. Wie der spätere Oberst der Artillerie, Ernst Gross, im Jahr 2010 in einem Interview sagte, ist ihm ein Nachteinsatz im Jahr 1943 als 16-jähriger Meldefahrer mit dem Velo besonders in Erinnerung geblieben.

Schwerstverwundete Nazi-Soldaten
«Wir wurden damals orientiert, dass ein Lazarett-Zug mit schwer verwundeten deutschen Soldaten über Nacht im Bahnhof Frauenfeld halten wird. Die Weiterfahrt sei bei Morgengrauen nach Konstanz vorgesehen. Frauenfeld war verdunkelt, es durfte kein Licht gemacht werden. Der Einsatz im Zug ist nicht näher beschreibbar. Drückende, stinkende Luft, stöhnende Verwundete», sagte Gross dazu rückblickend. Es galt, die Bahren mit den schwerst verwundeten Nazi-Soldaten aus dem Zug zu hieven, in die Kaserne zum Sanitätsdienst zu bringen und danach zurück zum richtigen Wagen. «Der erlösende Moment war die Meldung des SBB-Beamten, das Signal stehe auf Fahrt. Ein leiser Pfiff und der Zug rollte sanft nach Osten», beschrieb Gross damals jenen Augenblick im Jahr 1943 und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

Auch Hilfe für Alliierte
Ein anderes Erlebnis aus seiner Zeit als Mitglied der Ortswehr bezog sich auf jenen Moment, als Gross beobachtete, wie eine Handvoll Fallschirmspringer über der Grossen Allmend aus einem tieffliegenden Bomber der Alliierten sprang. Bei seinem Haus an der Speicherstrasse schwang er sich sofort aufs Velo und radelte zur Absprungstelle, wo er die Männer erblickte. «Die Soldaten schauten mit ängstlichem Blick aus dem Graben, in dem sie sich verschanzt hatten. Ich zeigte ihnen meine Armbinde und sagte ‹here Switzerland, not Germany›. Später kam eine Polizeipatrouille und nahm sich der Fallschirmspringer an. Mir sagten die Beamten noch, absolute Verschwiegenheit zu wahren und keine Aussagen zum Erlebten zu machen.»

Beide Seiten profitierten
Auf diese Art und Weise erlebte Ernst Gross hautnah, wie beiden Kriegsparteien im 2. Weltkrieg – den Nazis und den Alliierten – in der Not Hilfe zuteil wurde in Frauenfeld.

Andreas Anderegg