Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 27.05.2020

Um Lehrlinge werben

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf den Lehrstellenmarkt aus?

Die Corona-Krise machte Schnuppertage und Bewerbungsgespräche in den letzten Wochen unmöglich. Das bekamen auch Schulabgänger zu spüren, die noch eine Lehrstelle suchen. Trotz vielen Unsicherheiten ist die Lehrstellensituation im Thurgau aber ausgezeichnet.

 

 

Die Corona-Krise setzt der Wirtschaft zu. Experten warnen, dass die Auswirkungen das Gewerbe noch länger begleiten werden. Wie lange genau, das vermag derzeit niemand abschliessend zu beurteilen. Aber wie sieht die Sache denn derzeit im Bereich der Lehrstellen aus? Wie jedes Jahr suchen Schulabgänger auch jetzt nach einer Anschlusslösung. Dies kann eine Mittelschule sein, ein Zwischenjahr oder aber eine Lehre. In Zeiten des Corona-Virus ist das Finden einer Lehrstelle nicht gerade einfach, sollte man meinen. Aber: «Die aktuelle Situation ist ausgezeichnet», sagt Marcel Volkart, Amtschef des Amts für Berufsbildung und Berufsberatung Kanton Thurgau.

Zahlen der Verträge stabil
Zu diesem Fazit kommt Marcel Volkart nach einem Blick auf die aktuellen Zahlen. Stand Montag, 25. Mai, wurden im Kanton Thurgau 1943 Lehrverträge unterschrieben. «Das sind nur zwei weniger als zum gleichen Zeitpunkt im letzten Jahr», sagt Volkart. Seit Beginn der Corona-Krise und dem Lockdown ab dem 17. März, habe man die Zahlen wöchentlich erfasst und festgestellt, dass sie jede Woche über denjenigen des letzten Jahres lagen. «Diese Woche nun sind sie zum ersten Mal knapp darunter», so der Amtschef. Mit ein Grund für die stabilen Zahlen sei die Tatsache, dass viele Verträge bereits im Herbst oder Winter abgeschlossen würden.

Mehr Stellen als Abgänger
Auch auf der Seite der Lehrstellen sieht die Sache derzeit gut aus. Stand Montag waren im Kanton Thurgau noch 678 Lehrstellen unbesetzt. Dies praktisch über alle Berufsgattungen hinweg. Und einige von ihnen werden auch unbesetzt bleiben. Denn seit rund zehn Jahren gebe es im Kanton mehr Lehrstellen als Schulabgänger, die auf der Suche sind. «Regelmässig bleiben Ende Schuljahr 400 bis 500 Lehrstellen offen», sagt Volkart.

Firmen müssen aktiv sein
Diese Zahlen zeigen, dass im Kanton Thurgau eine luxuriöse Situation für die Lehrstellensuchenden herrscht. Nicht so positiv sieht es auf der anderen Seite aus. «Grosse Firmen haben kein Problem, Lernende zu finden. Sie können sich meist sogar die besten herauspicken», erklärt Volkart. Beispiele dafür sind Grossisten wie Migros oder Coop, Spitäler oder international tätige Firmen. Schwieriger hätten es dagegen mittlere und kleine Unternehmungen. «Eine wichtige Rolle spielt der Ruf, den eine Firma hat», sagt Volkart. Daher müssten Grossfirmen weniger für gute Bewerber machen als andere. Der Tipp des Amtschefs: «Macht Werbung und geht auch wenn möglich direkt auf die Sekundarschulen zu, um euren Berufsstand zu zeigen und so interessierte Lernende zu finden. Seid aktiv.» Denn er ist überzeugt, dass Lehrer ihre Schüler besonders gut kennen und Jugendliche so auch dort unterkommen, wo sie richtig sind, aber woran sie nicht gedacht hätten.

Brückenangebot besonders beliebt
Wohl auch dank der Corona-Krise gab es in diesem Jahr rund 20 Prozent mehr Anmeldungen für ein Brückenangebot – sprich ein 10. Schuljahr. Zu Verzögerungen bei den Aufnahmen sei es aber nicht gekommen. An den drei Standorten Frauenfeld, Weinfelden und Romanshorn werden normalerweise 18 Klassen pro Jahrgang unterrichtet. Dies in Klassengrössen von 12 (Praxis) oder 16 Schülern (Allgemein). «Weil wir so viele Anmeldungen hatten, wird in Romanshorn eine zusätzliche Klasse eröffnet», so Marcel Volkart. Zudem habe man alle Klassen mit zwei bis vier Schülern überbucht. «Das ist vertretbar, um eine optimale Betreuung noch zu gewährleisten», so der Amtschef. Er hofft, dass es noch – wie das jedes Jahr üblich ist – einige Abmeldungen geben wird von Schülerinnen oder Schülern, die doch noch eine Lehrstelle oder eine andere Anschlusslösung gefunden haben. Denn in das laufende Lehrjahr könne man noch bis September einsteigen.

Verständliche Unsicherheiten
Jeder, der das Brückenangebot besucht, hatte vorgängig einen obligatorischen Termin bei der Berufsberatung. Diesen würde Marcel Volkart auch allen anderen empfehlen. «Es ist kostenlos und wir können viele Fragen beantworten und helfen, den richtigen Weg zu finden». Dass derzeit wegen der Corona-Krise und der Abkühlung der Wirtschaft viele Unsicherheiten im Raum stehen, dafür hat Volkart Verständnis. Vor allem auch, weil die letzten Wochen weder Bewerbungsgespräche noch Schnupperlehren möglich gewesen seien. Er beruhigt aber auch: «Lehrbetriebe sind meist stabil aufgestellt und etabliert. Sie sind vom Kanton auch kontrolliert und daher sehr unter Aufsicht.»
Daher betont er noch einmal: «Die Lehrstellensituation im Thurgau ist derzeit ausgezeichnet. Was aber nächstes oder übernächstes Jahr sein wird, das kann heute niemand sagen.» Denn sollte die Wirtschaft wirklich so stark leiden und sich entsprechend langsam erholen wie von einigen Experten angekündigt, könnte man auf dem Lehrstellenmarkt ebenfalls Probleme bekommen. Fakt ist heute aber: «Stand Montag musste nur ein einziger, bereits geschlossener Lehrvertrag für nach dem Sommer wegen der Corona-Situation wieder aufgehoben werden».Michael Anderegg

 

 

Um Lehrlinge werben