Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 18.04.2018

Ein schwarzer Hund sorgt fast für ein Debakel

Am 9./10. Juni gastiert die Tour de Suisse in Frauenfeld. Das letzte Mal war das am 18./19. Juni 1996 der Fall. Der damalige OK-Präsident Martin Bärtsch hat darüber sehr viel zu erzählen.

 

 

Nur die eingefleischten Rad-Fans wissen noch, wie das 1996 war. Auf einer monströsen Etappe über 231,4 Kilometer kam der Tross von Grindelwald am 18. Juni nach einer ersten Zieldurchfahrt und der folgenden 30 Kilometer langen Zusatzschlaufe über Iselisberg, Nussbaumen, Hüttwilen, Herdern und Pfyn in Frauenfeld an. Mitten in der Stadt auf dem alten Bahnhofplatz setzte sich vor unzähligen Zuschauern im Endspurt der Deutsche Udo Bölts durch. Tags darauf dominierte im Einzelzeitfahren der Russe Jewgeny Berzin. Das sind die Fakten.
Wie aber hat damals alles angefangen? Martin Bärtsch als OK-Präsident kann nur seine Unterlagen hervornehmen und alles ist akribisch festgehalten. Jede Sitzung ist mit einigen Zeilen genau protokolliert. Der Ordner dafür umfasst über 50 A4-Seiten. Darum kann er sagen, was er als Erstes unternommen hat: «Im Dezember 1993 habe ich dem MRSV Frauenfeld dargelegt, wie wir vorgehen wollen. Bereits am 11. Januar 1994 habe ich mich mit Tour-de-Suisse-Direktor Hugo Steinegger getroffen. Sechs Tage später verhandelte ich in Frauenfeld beim Tiefbauamt, der Polizei und der Waffenplatz-Verwaltung über die Streckenführung.» Am 30. September 1994 durfte er TdS-Streckenchef Bruno Hubschmid die fixen Durchfahrten präsentieren.
Es folgten Unterredungen mit jedem Gemeindepräsidenten an der Strecke. Alle betroffenen Firmen mussten wegen gesperrten Strassen informiert werden. Die Frauenfeld-Wil-Bahn konnte nur bis zum Marktplatz fahren. «Das brauchte viele intensive Gespräche, weil sich das Ziel mitten in der Stadt auf dem Bahnhofplatz befand. Da gab es Viele, die betroffen waren.» Und dann beginnen die Augen von Bärtsch zu strahlen: «Aber das gebotene Spektakel war enorm. Nicht nur die Tribüne war prall gefüllt. Überall suchten sich die Fans ein günstiges Plätzchen, um von diesem «Ameisenhaufen» etwas zu erhaschen. Da habe ich gewusst, dass sich der gewaltige Aufwand aller Beteiligten gelohnt hat. Man darf nicht vergessen, zur gleichen Zeit fand die Fussball-EM statt. Darum haben wir auf dem Mätteli auch eine Grossleinwand aufgestellt.»
Bärtsch legt Wert darauf, dass man erwähnt, dass ohne den diesem Vorhaben von Anfang an gut gesinnten Stadtammann Hans Bachofner diese Ziel-Ankunft gar nicht möglich gewesen wäre. Ehrenpräsident Bachofner schrieb zu Beginn in seinem Vorwort des Programmheftes: «Die Thurgauer Kantonshauptstadt feiert 1996 ihr 750-Jahr-Jubiläum der Ersterwähnung. Der MRSV Frauenfeld feiert zugleich sein 100-Jahr-Vereinsjubiläum.» Da kam der grösste Schweizer Radsport-Anlass bei seiner 60. Austragung gerade recht.
Auch beim Einzel-Zeitfahren über 34,6 Kilometer mit Start und Ziel auf dem Bahnhofplatz war einiges los. In den umliegenden Dörfern wurden Festwirtschaften errichtet und die Stimmung wurde merklich lauter, wenn per Lautsprecher ein Fahrer angekündigt wurde. Die Profis rollten via Pfyn, Müllheim, Lamperswil, Raperswilen, Homburg, Hörhausen, Dettighofen und Pfyn wieder zurück auf den Bahnhofplatz. Hinter Berzin klassiert waren der Gesamtzweite Gianni Faresin (It) und ein gewisser Lance Armstrong (USA), der später unrühmlich in die Doping-Schlagzeilen geriet.
An eine Episode kann sich Martin Bärtsch immer noch erinnern: «Eine Schrecksekunde gab es für den späteren Gesamtsieger Peter Luttenberger. Bei der Durchfahrt in Pfyn raste unvermittelt ein schwarzer Hund über die Strasse. Nur mit viel Geschick konnte der Österreicher einen Sturz vermeiden.» Wenn der heutige Pensionär auf frühere Zeiten zurück blickt, dann kann er eine gewisse Genugtuung nicht verbergen: «Ich habe zwar von 1994 bis 1996 alle Ferien- und Freitage für diese zwei Renntage geopfert, aber es hat sich gelohnt. Auch weil ich 30 Jahre lang das nationale Strassenrennen in Frauenfeld organisiert habe, konnte ich für die TdS von diesen guten Beziehungen profitieren.» Für sein Engagement wurde Martin Bärtsch 2004 mit dem Anerkennungspreis der Stadt Frauenfeld ausgezeichnet.

Ruedi Stettler