Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 01.10.2014

Von Guadalajara nach Frauenfeld

(Lisa Steck war für 6 Wochen Chnuri‘s Praktikantin. Nur ungern lässt er sie wieder ziehen, sie hat sehr gute Arbeit geleistet. Vielleich kommt sie irgendwann mal wieder?
Lisa ist weitgereist. Deshalb kriegte sie als kleine Sonderaufgabe nebenbei den Auftrag, einen Aufsatz mit dem Titel: «Von Guadalajara (Mexiko) nach Frauenfeld» zu schreiben. Hier ihr Bericht:)

 

 

Guadalajara. Das sind auf den ersten Blick einfach zu viele ‚a’s. Viel zu viele. Kennt eigentlich auch keiner, dieses Guadalajara. Und ich zolle jedem, der das dann doch schon kennt, ziemlich viel Respekt. Aber ehrlich gesagt, wusste ich von dieser Stadt selbst nichts, bevor ich dann einfach dort hin zog. Ist ja auch nur Mexikos zweitgrösste Stadt. Über die Einwohnerzahlen sind sich die Quellen komplett uneinig. Von Angaben wie 500 000 bis 4 Mio. ist alles zu finden. Die Quellen vor Ort sprechen von 6 Mio. Aber wie sollte man das auch messen, wenn kaum einer registriert ist? Und eigentlich juckt das auch keinen.
Nach Guadalajara kam ich nach meinem Abitur im beschaulichen Ravensburg, als ich mir die Frage stellte, naja, stellen musste, wie es denn jetzt weiter gehen sollte. Wie die meisten Abiturienten hatte ich herzlich wenig Ahnung von meinem weiteren Werdegang und bewarb mich daher für ein Freiwilliges Soziales Jahr an einer Blindenschule in Guadalajara, Mexiko. Hilfe! Kriminalität? Bestimmt. Aber das Vorurteil «kaum gelandet, schon überfallen» kann ich nicht bestätigen. Genauer gesagt wurde ich in dem kompletten Jahr nicht einmal ausgeraubt oder auch nur beklaut. Und ich war keinesfalls übervorsichtig.

Doch zurück zum Anfang:
Als ich in Guadalajara nach nicht nur gefühlt einer halben Weltreise endlich landete, wurde ich von einer mexikanischen Familie im Auto abgeholt. Es wurde fröhlich auf Spanisch geplaudert. Zumindest glaubte ich das. Denn in Wahrheit verstand ich noch kein Wort Spanisch.
Beim Betreten meines zukünftigen Zuhauses für ein Jahr, war ich, eigentlich kein bisschen etepetete, doch ein wenig geschockt. In der Küche sprangen lauter kleine Kakerlaken in sämtliche Ritzen, sobald man das Licht einschaltete. Ja, die kleinen Kakerlaken können tatsächlich bis zu einem halben Meter weit springen! Die grossen Gott-sei-dank nicht. Die duschen nur gerne mit am Morgen. Aber ein bisschen Körperhygiene ist ja durchaus legitim. Der Boden war zu Recht im kompletten Haus gefliest. Die Schuhe zog keiner freiwillig aus im Haus, denn fast jedes mexikanische Haus hat einen offenen Innenhof ins Erdgeschoss integriert. Wer also bei Regen vom Eingangsbereich in die Küche wollte, schleppte unfreiwillig den ganzen nassen Stadtstaub durch das Haus und wurde zweitens grundsätzlich nass. Und man bedenke, dass es in Mexiko eine Regenzeit gibt! Die Sofas waren durchgebrochen, der Bezug lappte locker flockig in den hohlen Innenraum und einzelne Sprungfedern schauten heraus. Ich meinte noch zu meiner neuen Mitbewohnerin: «Wer setzt sich denn nur freiwillig auf DIE Sofas?» Die einfache Antwort wäre gewesen: Wir nach spätestens drei Wochen.

Denn man gewöhnt sich an alles.
Und es macht einen anpassungsfähiger und anspruchsloser, ein solches Jahr verbracht zu haben. Und der abgeratzte Zustand des Hauses hatte auch seine Schokoladenseiten: bei Partys kann man kaum noch mehr kaputt machen. Und dank der Fliesen konnten wir mehrere Monate zwei kleine Küken im Erdgeschoss als Haustiere halten. Damit sie nicht bald kaputt getreten wurden, da sie die gleiche Farbe wie die beigen Fliesen hatten und einem ständig um die Füsse gerannt sind, malten wir die kleinen Wollknäuel kurzerhand mit Wasserfarbe bunt an.
Mein kleines Zimmer lag eigentlich fast direkt im Stadtzentrum. Die Stadt an sich erschien trotz ihrer Größe recht freundlich, was dran liegt, dass kein Haus wohl mehr als zwei bis maximal drei Stockwerke hat. Auch nicht im Zentrum. Das heisst, alles wirkt eher wie ein Dorf. Wenn auch in gigantischem Ausmass. Und wenn man von den reichen Vierteln mit den schnieken amerikanischen Hochhäusern und kalt-verglasten Bank-Hochhausriesen absieht. Es gibt viele schönen Parks und weite Plätze in ständigem Menschengetümmel. (Die Altstadt in Frauenfeld würde sich darum reissen!) Auch wenn ich mit anderen Deutschen in einer WG lebte, lernte ich sehr schnell neue Leute kennen. Nette, freundliche, zuvorkommende Menschen, das war eigentlich das Wesentliche, was ich im Gesamten aus Mexiko in Erinnerung behalten werde. An meiner Schule, aber auch in der Stadt, beim Einkaufen, abends beim Feiern. Klar, auch in Guadalajara wird gefeiert, wenn auch anders als bei uns. Natürlich, Klischee olé, eines darf nicht fehlen: Der Tequila! Nur ist es mit diesem, wie es mit allen Dingen ist, die man im Ursprungsland degustieren darf: wesentlich besser als die bekannten und importierten Sorten in Mitteleuropa.

Guadalajara, das war für mich anfangs eine Stadt in Mexiko. Frauenfeld, das war für mich anfangs ein Festival in der Schweiz. Ich muss vielleicht noch anmerken, dass ich weder Mexikanerin noch Schweizerin bin, sondern Deutsche. Daher erschien mir beides zunächst eher fremd.

Frauenfeld: Hip-hop-Hochburg und Festival!
Da hatte ich bei meiner Ankunft in Frauenfeld schon etwas mehr Glück. Alles verstand ich zwar auch nicht, aber doch das meiste und wichtigste. Und keiner bemerkte die Lücken.
Dass Frauenfeld nicht nur ein Festival ist (das berühmte Open air!) und auch bei weitem keine fetzige Hochburg für Hip-Hopper, wurde mir recht bald klar. Wahrscheinlich schon am ersten Abend, als man fast zusehen konnte, wie Punkt 19 Uhr «die Gehwege hochgeklappt werden». Als bestehe eine heimlich vereinbarte Ausgangssperre, ist niemand mehr auf den Strassen, sobald es dunkelt. Gefährliches Pflaster hier in Frauenfeld!? Jederzeit ist man in Gefahr, vom örtlichen Rentnerverein in den Wald verschleppt zu werden, wo man dann bei ihren verkoksten Flatrate-Sauf-Parties gezwungen wird, sich Konfetti in die Ohren zu stopfen. Doch Spass bei Seite! Es herrscht eine solide Ordnung, die Natur ist fantastisch, die Äpfel schmecken himmlisch, viele Gelegenheiten für Sport gibt es, und entgegen aller Vorurteile gegenüber der europäischen Verschlossenheit wurde ich sehr freundlich aufgenommen.

Gemeinsamkeiten? Unterschiede?
Eine Parallele zu Mexiko lässt sich dann doch finden: Die Mahlzeit nimmt einen grossen Stellenwert ein. Punkt 12 Uhr wird man von den Mitarbeitern mit «n Guten» begrüsst, ganz egal, ob man das Büro gerade verlässt oder betritt. Dass sogar förmlicher Email-Kontakt am Vormittag mit diesen Worten auf jeden Fall noch vor 12 Uhr beendet wird, finde ich dann doch erstaunlich.
Und was ist der grösste Unterschied? Ich kann es gar nicht genau sagen. Wahrscheinlich die Besorgnis um Verkehrs­problematiken. Begegnet man in Frauenfeld einem zweiten Auto auf der Strasse, fällt der Frauenfelder aus allen Wolken, spricht von Stau und ruft Versammlungen ein. In Guadalajara hin­gegen ist man einfach froh, wenn der Smog nicht zu stark ist, sodass man die Sonne am Himmel noch sehen kann. Alles ist nun mal relativ.

Was nun? Nun kehre ich zurück nach Köln, wieder etwas ganz anderes. Und danach kommt vielleicht dann wieder ein krasses Gegenteil. Wer weiss! Aber so bleibt man flexibel, und das ist ja auch das Schöne: Man weiss nie, was die Zukunft als nächstes für einen parat hält.

Lisa’s «Steck»brief

Name: Steck
Vorname: Lisa
Alter: 22
Beschäftigung: Studentin der Medienkulturwissenschaft und Germanistik an der Uni Köln
Tierkreiszeichen: Zwilling
Leibspeise: schwäbische Kässpätzle
Getränke: Kaffee
Lieblingsfarbe: dunkelrot
Musik: Schlager!! (Nee, Quatsch!)
Hobbys: Sport, Literatur und Kultur ganz allgemein gesagt
Wohnort: derzeit Köln